Freifahrtschein für Repression  

Wie Regierungen der EU und ein internationales Umweltsiegel europäische Verbraucher zu Unterstützern von Folter machen 

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Zentrale ergebnisse

  • Seit Jahren schon profitieren die größten Möbeleinzelhandelsketten Europas von der Folter politischer Gefangener in Weißrussland, teilt Earthsight mit. Zugleich dienen ihre Käufe der persönlichen Bereicherung des brutalen Diktators des Landes, Alexander Lukaschenko, zu Lasten einiger der letzten Urwälder Europas. Der fortgesetzte Handel spielt auch dem russischen Terror in der Ukraine in die Hände, zu dem Weißrussland nicht unwesentlich Beihilfe leistet. Europäische Regierungen, die eigene Interessen verfolgen, weigern sich seit Jahren, Sanktionen zu verhängen, die diese skandalösen Handelsbeziehungen beenden könnten. Inzwischen verstoßen sie, indem sie den Handel weiter zulassen, sogar gegen eigene Gesetze.
  • Earthsight konnte Verbindungen zwischen dem Einsatz von Zwangsarbeitern und fast jeder großen Möbeleinzelhandelskette Europas nachweisen, darunter zu IKEA, der führenden französischen Einzelhandelskette BUT und dem in Österreich ansässigen Möbelkonzern XXXLutz, dem zweitgrößten Möbeleinzelhändler des Kontinents. Möbel von IKEA, die mit dem Skandal in Zusammenhang stehen, wurden auch in den USA verkauft.
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  • Lesen Sie die Empfehlungen von Earthsight.
  • Lesen Sie das EU-Briefing (auf Englisch).

Prolog

Als im Spätsommer 2020 weltweit über Proteste für mehr Demokratie in Weißrussland berichtet wurde, nahm die BBC einen der bedrückendsten Momente auf: Mit ihren Kameras dokumentierten Journalisten die Stimmen von Studenten, die im Laderaum eines Transporters brutal verprügelt wurden.1 Der Wagen scheint der Polizei zu gehören und die Schreie und Hilferufe der Opfer sind schwer zu ertragen.

Die Ereignisse wurden unverzüglich von westlichen Politikern verurteilt, und es wurden harte Maßnahmen gegen die Verantwortlichen versprochen. Sanktionen wurden verhängt. Die Welt wendete sich anderen Themen zu, während Weißrussland die jungen Leute aus dem Polizeitransporter und tausende andere in Arbeitslager steckte.    

18 Monate später war das Land erneut in der Presse, weil die Regierung russischen Kriegsverbrechen in der benachbarten Ukraine Vorschub leistete und so seinem Ruf als Pariastaat mehr als gerecht wurde. Es folgten weitere Sanktionen.  

Die Bürger der Nationen, die die Sanktionen verhängten, nahmen stillschweigend an, dass sie und ihre Regierungen damit ausreichend Unterstützung geleistet hatten. Es sei alles außer der Erzwingung eines Regierungswechsels unternommen worden. Die Wahrheit sieht, wie Earthsight herausfand, vollkommen anders aus. 

Gefängnis-Industrie-Komplex mit Umweltsiegel

Insassen eines weißrusssischen Gefängnisses beim Ausgang. Quelle: ZUMA Press, Inc. / Alamy Stock Photo

Insassen eines weißrusssischen Gefängnisses beim Ausgang. Quelle: ZUMA Press, Inc. / Alamy Stock Photo

Sklavenarbeit 

Babruisk liegt an der Bjaresina im Herzen Weißrusslands und ist eine der ältesten Städte des Landes. Ihr prägendster Bau und die wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt ist deren 200 Jahre alte Festung, die während der Napoleonischen Kriege nach Vorgaben von Zar Alexander I. errichtet wurde. Allerdings spielte eine andere Art Festung eine noch weitaus wichtigere Rolle für die Entwicklung der Stadt, und die ist alles andere als eine Sehenswürdigkeit.  

 Bei seiner Eröffnung 1965 befand sich das Arbeitslager IK 2 Babruisk – die Anwohner nennen es kurz „Zwei“ – von Feld und Wald umgeben am Stadtrand. Es lieferte Zwangsarbeiter für eine große neue Reifenfabrik des Orts. Die tausenden Zwangsarbeiter der Kolonie wurden aber nicht nur dorthin geschickt. Sie arbeiteten auch in anderen Fabriken der Stadt und leisteten eine wesentlichen Beitrag zu deren Entstehung. Nach dem Bau des Gefängnisses verdoppelte sich die Bevölkerung von Babruisk mindestens. Und das 17 Hektar große, von Stacheldrahtzaun umgebene Gelände steht nun in den Vororten, die von Zwangsarbeitern gebaut wurden.2 

Das Arbeitslager Babruisk. Die große Lagerhalle im Hintergrund des Fotos beherbergt die holzverarbeitende Fabrik. 

Das Arbeitslager Babruisk. Die große Lagerhalle im Hintergrund des Fotos beherbergt die holzverarbeitende Fabrik. 

Die über 2.000 Gefängnisinsassen müssen ihre Unterbringung bezahlen und daher arbeiten. Wer das nicht tut, gilt als „Parasit“ und landet in einer sogenannten Strafzelle.3 Aktuell befinden sich die meisten Arbeitsplätze innerhalb der Gefängnismauern, denn Babruisk ist Teil der verborgenen weißrussischen Gefängnisindustrie. 

 In 27 über das ganze Land verteilten großen Arbeitslagern setzt das weißrussische Ministerium für Haftanstalten Zwangsarbeiter für die Herstellung eines breiten und sehr einträglichen Produktsortiments ein.4 Gefertigt werden Armeeuniformen, Munitionskisten und Pistolenholster aus Leder. Daneben werden weniger erwartbare Artikel, wie Grills, Ersatzteile für Traktoren, Klettergerüste, Schlitten und Nudeln hergestellt. Die bei weitem größten Einnahmen erzielt der weißrussische Gefängnissektor jedoch mit Holz.  

Der weißrussische Gefängnissektor ist in vielerlei Hinsicht das größte holzverarbeitende Unternehmen Weißrusslands 

An bestimmten Kategorien gemessen, ist der Gefängnissektor mit seinen 8.000 Arbeitern das größte holzverarbeitende Unternehmen des Landes. Die Gefangenen kommen in allen Phasen der Produktion zum Einsatz, darunter beim Fällen von Bäumen in den Staatsforsten. Jährlich werden in den Gefängnissen rund eine halbe Million Bäume zu über 800 verschiedenen Produkten verarbeitet, wie Büromöbel, Fensterrahmen, Türen und Souvenirs, z. B. Schachbretter.5 

Insbesondere die Werkstätten in Babruisk, die eine Fläche von fünf Fußballfeldern einnehmen, haben viel zu tun.   

Website des Arbeitslagers IK 2 in Babruisk (automatische Übersetzung) 

Website des Arbeitslagers IK 2 in Babruisk (automatische Übersetzung) 

Folter 

Das Arbeitslager IK 2 ist nicht nur eines der größten Gefängnisse Weißrusslands, sondern hat auch einen besonders schlechten Ruf. Einer der berühmtesten weißrussischen Dissidenten war dort inhaftiert. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Andrej Sannikau war Insasse von Babruisk und wurde dort gefoltert, nachdem er gegen die gefälschte Wahl von Präsident Lukaschenko 2010 protestiert hatte. Seine Berichte nach der Entlassung veranlassten die EU 2013 zu gezielten Sanktionen gegen Mitglieder der obersten Gefängnisleitung.6 Auch der weißrussische Menschenrechtsaktivist Ales Bialiatski, der im Oktober 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde7, war Insasse der Strafkolonie IK 2 und dort Zwangsarbeit und Misshandlungen ausgesetzt.8 

Autobiografie des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Andrej Sannikau, in der er seine Folter während der Haftzeit im Arbeitslager IK 2 in Babruisk beschreibt.

Autobiografie des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Andrej Sannikau, in der er seine Folter während der Haftzeit im Arbeitslager IK 2 in Babruisk beschreibt.

n Babruisk befinden sich noch viele weitere Opfer staatlicher Repression in Haft. Menschenrechtsorganisationen haben bislang 94 politische Gefangene unter den aktuellen Insassen identifiziert9, wobei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich deutlich höher liegt. Die Inhaftierten sind überwiegend jung. Die Mehrheit landete dort im Zusammenhang mit den landesweiten regimekritischen Protesten im August 2020, die sich an Lukaschenkos gefälschter Wiederwahl entzündet hatten.  Im Oktober 2022 waren 1.351 Personen in Weißrussland als politische Häftlinge anerkannt.10

Die gewaltsame Unterdrückung der prodemokratischen Bewegung in Weißrussland Ende 2020 machte weltweit Schlagzeilen. Wie brutal junge Protestteilnehmer vom weißrussischen Staat inhaftiert und festgehalten wurden, war international bekannt.  

Die Folter an politischen Gefangenen in Babruisk war ein offenes Geheimnis 

Auch, dass politische Gefangene in Babruisk gefoltert wurden, war ein offenes Geheimnis. Belege hierfür sind in allen 24 Amtssprachen auf der Website der EU nachzulesen. Weitere Details sind in Andrej Sannikaus Autobiografie zu finden, die 2015 erschien.11 Gegen seine Inhaftierung protestierten Prominente wie Mick Jagger und Steven Spielberg.12 

Es erstaunt jedoch immer wieder, was vergessen oder ignoriert werden kann, wenn sich irgendwo Geld verdienen lässt.  

Greenwashing 

Mit einem Umsatz von 100 Mio. USD ist SCS Global führend in der „Nachhaltigkeitszertifizierung“, wie sich das wachsende Geschäftsfeld nennt, in dem es um die Deklarierung von Globalisierungsprodukten als ethisch geht. Die Vorsitzenden solcher multinationaler Unternehmen behaupten, ihre Teams stünden jeden Morgen mit nur einer einzigen Frage auf: „Was können wir heute noch verbessern?13. Was die Auditoren von SCS beim Frühstück dachten, als sie die Strafkolonie Babruisk Ende 2020 prüften, ist nicht bekannt, aber man kann sich kaum vorstellen, dass sie nicht merkten, dass sie ein Gefängnis betraten, als sich etwas später am Morgen die gut 4 Meter hohen blauen, elektrisch betriebenen Tore der Strafkolonie IK 2 öffneten. Es ist auch nicht plausibel, dass sie nichts von den Ereignissen gehört hatten, die seit der Wahl zu Beginn des Jahres über Weißrussland hinweggerollt waren. Ganz sicher waren sie aber nicht dabei, etwas zu „verbessern“. 

Der Leiter der industriellen Produktion des Straflagers Babruisk, Oberstleutnant Sergei Koslau, wollte die Holzverarbeitung noch profitabler machen. Dasselbe wollte auch sein Vorgesetzter, der Leiter des Gefängnissektors Weißrusslands und damit CEO von „Belarus Prisons Inc“, Oleg Matkin, dessen Porträt neben seinem Vorwort zum 120 Seiten starken Katalog des Gefängnissektors abgebildet ist.14 Paletten für die örtliche Traktorproduktion herzustellen, rechnete sich nicht. Bessere Ergebnisse würden mit einer Ausweitung der Verkäufe auf die lukrativen Märkte EU und Vereinigtes Königreich erzielt werden können.   

Allerdings bestand genau da ein Problem: Die Gesetze beider Länder sahen vor, dass Holzimporteure in einer Due Diligence sorgfältig prüfen, dass das Holz legal gewonnen und dessen Produkte legal gehandelt werden. Um den Vorschriften zu genügen, verlangten immer mehr Unternehmen zusätzliche Nachweise und stellten schwierig zu beantwortende Fragen. Das mussten Matkin und Koslau kostensparend und unkompliziert umgehen. Praktischerweise fiel ihnen die richtige Möglichkeit ein. 

Die bekannteste Organisation für Nachhaltigkeitszertifizierung ist der Forest Stewardship Council oder FSC. In den frühen 90er Jahren als Reaktion auf immer größere Skandale um massive Abholzungen in den Tropen von einer Koalition aus Umweltgruppen und progressiven Vertretern der Industrie gegründet, verfolgt der FSC das Ziel, Kunden zu helfen, guten Gewissens Produkte aus Holz und Papier zu kaufen. Inzwischen ist FSC das weltweit größte Ethiklabel. Das Logo aus stilisiertem Baum und Häkchen schmückt weltweit Produkte aus Zellstoff, Möbel und Bücher. Rund ein Viertel der internationalen Holzproduktion – darunter Wälder in Russland, Brasilien, Ghana und Australien – sind zertifiziert.15 Systematik und Verfahren für die Labelvergabe wurden von vielen grünen Labels für andere Waren, etwa Fisch, übernommen. Damit ist es ein großes Vorbild auf dem Gebiet des „ethischen“ Konsums. 

Umweltsiegel wie FSC werden für diejenigen, die ihre Holzprodukte in Westeuropa verkaufen wollen, immer wichtiger 

Der FSC bestimmt ethische Standards für die Holzbranche: Die Schäden für die Tierwelt müssen minimiert und die wertvollsten Wälder unberührt bleiben; Steuern müssen gezahlt und Arbeiter zu akzeptablen Bedingungen beschäftigt werden. Gewinnorientierte Unternehmen prüfen dafür in Audits bei Holz abbauenden und verarbeitenden Firmen, dass diese den FSC-Kriterien genügen. Mit zunehmendem Bewusstsein für illegales und nicht nachhaltiges Holz bei Verbrauchern, großen Einzelhändlern und westlichen Regierungen werden Label wie das des FSC für all diejenigen unabdingbar, die ihre Produkte auf sensibilisierten Märkten wie Westeuropa verkaufen wollen. 

Genau deshalb war SCS in Babruisk. Das Straflager zahlte für das Audit. Der Auftrag: Dem Lager ein Umweltsiegel ausstellen.  

Am 2. Oktober 2020 wurden seitens der EU wegen „inhumaner und herabwürdigender Behandlung, einschließlich Folter“ von Bürgern, die in von ihm geführten Einrichtungen inhaftiert sind, gegen Matkin Sanktionen verhängt.16 Der Leiter der Gefängnisse von Babruisk muss erwartet haben, dass damit sein Vorhaben durchkreuzt sei. Aber nur sechs Wochen später lieferten die Auditoren von SCS wie vereinbart: Am 12. November 2020 wurde ein nagelneues FSC-Zertifikat auf die Strafkolonie IK 2 von Babruisk ausgestellt.17 Damit stand ihr das Tor zur EU für Holzprodukte, in Zwangsarbeit von (politischen) Häftlingen hergestellt, offen. 

FSC-Zertifikat für die Strafkolonie IK 2 in Babruisk. Auszug aus der FSC-Datenbank vom Oktober 2021 

FSC-Zertifikat für die Strafkolonie IK 2 in Babruisk. Auszug aus der FSC-Datenbank vom Oktober 2021 

Nicht zum ersten Mal 

Babruisk war weder die einzige Einrichtung im weißrussischen Gefängnis-Industrie-Komplex, die durch das größte und anerkannteste Umweltsiegel der Welt einen Freifahrtschein erhielt, noch die erste.   

Vielmehr haben die Recherchen von Earthsight ergeben, dass FSC bereits seit über neun Jahren für das Greenwashing der Produkte der Inhaftierten – unter ihnen politische Gefangene – sorgte. Das erste Gefängnis, das eine Genehmigung erhielt, das Umweltlogo mit dem Häkchen zu verwenden, liegt rund 300 km westlich von Babruisk, in dem kleinen Ort Iwazewitschy. Dort bescheinigte ein anderes von FSC akkreditiertes Auditingunternehmen, die Rainforest Alliance mit Sitz in den USA, der Strafkolonie des Ortes, IK 5, am 31. Januar 2013 die Unbedenklichkeit ihrer Produktkette mit einem Zertifikat.18 Rainforest Alliance gab gegenüber Earthsight an, zu diesem Zeitpunkt habe eine andere Auditfirma im Rahmen eines Untervertrags die Audits in Europa durchgeführt, nämlich das multinationale Unternehmen NEPCon (heute „Preferred by Nature“) mit Sitz in Dänemark. Das gemeinnützige Unternehmen mit über 270 Mitarbeitern in über 40 Ländern19 verspricht, dass die von ihm angebotenen FSC-Zertifikate über die Unbedenklichkeit von Produktketten den „Marktzugang verbessern“ und „Marken stärken”.20 Rainforest Alliance zufolge übernahm NEPCon die volle Verantwortung für die Erteilung dieses Zertifikats sowie für alle anderen in Europa erteilten Zertifikate aus dem Jahr 2014.

Gegen die Holzproduktion von IK 5 ist die in Babruisk klein. Das Straflager IK 5 stellt ein größeres Produktsortiment her und verfügt über eine ansprechende Website.21 Es gibt einen Showroom und einen Shop sowie einen Instagram-Account mit über 1.300 Followern.22 Zudem wirbt IK 5, anders als Babruisk, ganz offen mit seinen Exporten in westeuropäische Länder, wie Deutschland, Frankreich und Polen.23 Das Geschäft mit Holz läuft für IK 5 so gut, dass die Haftanstalt in einem nahegelegenen Waldstück den „Gefängnisableger“ IK 22 samt Holzwerkstatt errichtet hat. Insgesamt nimmt der holzverarbeitende Komplex dieses Gefängnisses eine Fläche von über 13 Fußballfeldern ein. 

Häftlinge bereiten in der IK 22 Baumstämme für die Sägemaschine vor, 2017, Weißrussland. Quelle: Intex Press

Häftlinge bereiten in der IK 22 Baumstämme für die Sägemaschine vor, 2017, Weißrussland. Quelle: Intex Press

Dass die Strafkolonie IK 5 ihre Produkte in die EU exportiert, wissen wir mit Sicherheit, weil die weißrussischen Strafverfolger dies bestätigen. Nach langwierigen Gerichtsverfahren wurde der ehemalige Leiter der Haftanstalt 2018 für schuldig befunden, ein Bestechungsgeld von über 200.000 EUR von einem französischen Unternehmen angenommen zu haben, das dafür bevorzugt mit Möbeln für den Export beliefert werden sollte.24 Die Vorwürfe erstrecken sich auf den Zeitraum von März 2009 bis März 2013 – und in den letzten zwei Monaten dieses Zeitraums war die Haftanstalt FSC-zertifiziert.  

Der Leiter eines der damals FSC-zertifizierten weißrussischen Gefängnisse war beschuldigt, ein Bestechungsgeld von über 200.000 EUR von einem französischen Möbelunternehmen angenommen zu haben 

Kurz nachdem die weißrussischen Strafverfolger die Vorwürfe im Juni 2018 veröffentlichten, gelang es unabhängigen lokalen Medien, einen ehemaligen Häftling ausfindig zu machen, der in der Holzfabrik des Gefängnisses gearbeitet hatte. Er bestätigte, dass ein französisches Unternehmen mit Abstand dessen größter Kunde war.25 NEPCons Auditoren kamen dennoch zu dem Ergebnis alles sei in Ordnung und zertifizierten das Gefängnis im Januar des darauffolgenden Jahrs erneut.  

Earthsight sprach mit einem ehemaligen Insassen von IK 5, der bis zu seiner Freilassung Anfang 2022 in der Möbelfabrik des Gefängnisses gearbeitet hatte. Er sagte, die Produkte der Fabrik seien während seiner Zeit dort (und während das Gefängnis mit dem Umweltsiegel ausgezeichnet war) in die Niederlande und ins Vereinigte Königreich sowie nach Frankreich verkauft worden. Das Gefängnis habe auch Holz und Paletten nach Polen, zugeschnittene Bretter in die Tschechische Republik sowie Paletten und Verschnitt nach Lettland und Litauen verkauft. Ein anderer ehemaliger Häftling, mit dem Earthsight gesprochen hat, erzählte uns, die Kolonie habe auch Holzkohle in Verpackungen mit polnischer Aufschrift verkauft – also vermutlich für den polnischen Markt.  

2020 erhielten drei weitere Strafkolonien Umweltsiegel des FSC, und zwar jeweils von Nepcon. Die Strafkolonie IK 17 in Schklou wurde im Juli 2020 zertifiziert26, obwohl gegen deren Vertreter wegen Misshandlung von politischen Inhaftierten seitens der EU Sanktionen verhängt wurden.27 Das letzte Gefängnis, das ein Zertifikat erhielt – die Strafkolonie IK 15 in Mahiljou (Mogiljew), die ein breites Sortiment an Büromöbeln herstellt –, erhielt dies am 19. August 202028, nur fünf Tage nachdem internationale Medien, wie die BBC, über weitverbreitete Folter an inhaftierten Demonstranten berichtet hatten.29 

Ein Gefängnis wurde nur fünf Tage nach weltweiten Medienberichten über die Folter an inhaftierten Demonstranten FSC-zertifiziert 

Instagram-Account der Strafkolonie IK 5 mit Werbung für Produkte aus der Zwangsarbeit politischer Häftlinge, September 2022 

Instagram-Account der Strafkolonie IK 5 mit Werbung für Produkte aus der Zwangsarbeit politischer Häftlinge, September 2022 

Schlagstöcke und Taser 

Earthsight hat mit einer Reihe weißrussischer politischer Gefangener gesprochen, die über aktuelle Erfahrungen mit dem holzverarbeitenden Gefängnis-Industrie-Komplex des Landes verfügen. Die Häftlinge lieferten nicht nur weitere Beweise für die Verbindungen dieser Gefängnisse nach Europa, sondern bestätigten außerdem, dass im Gefängnissystem gefoltert und misshandelt wird sowie dass Arbeiter unter entsetzlichen Bedingungen schuften. Dies betrifft auch Haftanstalten, die FSC-zertifiziert sind.  

Ein Häftling, der in der Holzwerkstatt des Straflagers IK 3 im östlichen Weißrussland, nahe der russischen Grenze, arbeitete, berichtete, wie eiskalt es im Winter in der unbeheizten Fabrik gewesen sei. Er sagte auch, dass ein älterer Gefangener von einer der maroden Maschinen verstümmelt worden sei. Ein weiterer Gefangener, der den Mut hatte, sich über die Bedingungen zu beschweren, wurde dafür, so hörten wir, in die Strafzelle verlegt.   

Alle Gefangenen, mit denen wir gesprochen haben, bestätigten uns, dass sie zur Arbeit gezwungen worden seien. „Die Arbeit zu verweigern, war ein Verstoß”, so berichtete uns einer. Wer sich weigerte, bekam „Tritte in die Nieren und musste einige Tage in der Strafzelle verbringen”. „Wir wurden zur Arbeit gezwungen”, sagte uns ein anderer Gefangener, der im Dezember 2021 freigelassen wurde. 

Zwar werden Löhne gezahlt, aber nach Abzug der Kosten für Unterkunft und Verpflegung bleiben nur lächerliche Beträge übrig. Earthsight wurde eine Gehaltsabrechnung gezeigt, auf der ein Gesamtlohn von 15,8 BYR (weißrussische Rubel), d. h. 6 USD, für die Arbeit eines ganzen Jahres aufgeführt war.  

Politische Gefangene müssen spezielle gelbe Kleidung tragen, um von den normalen Gefangenen unterscheidbar zu sein. Sie werden von den Wachen besonders grob behandelt. Ständig werden ihnen aus nichtigen Gründen „Vergehen“ vorgeworfen, wie z. B. dass sie ungepflegt aussähen oder einen Aufseher nicht gegrüßt hätten. Diese „Vergehen“ dienen dann als Rechtfertigung dafür, dass sie eine Zeit lang in Einzelhaft genommen, Päckchen nicht ausgehändigt, Besuchsrechte entzogen und Strafen verlängert werden.  

 „Politischen Gefangenen werden nur wenige Treffen mit ihren Familien erlaubt, sie dürfen nicht über Skype telefonieren und bekommen auch andere Erleichterungen nicht, die anderen Gefangenen in ausreichendem Umfang gewährt werden. Ihnen wird einfach alles entzogen, wenn auch nur ein Knopf nicht geschlossen ist oder sie eine Sekunde zu spät zu einer Übung erscheinen”
Sagte uns ein ehemaliger Häftling

Das Entziehen von Rechten und Erleichterungen war nicht das Schlimmste, von dem uns berichtet wurde. Gefangene berichteten auch über viele Fälle von Schlägen gegen politische Gefangene, darunter auch mit Schlagstöcken, und von Angriffen mit Tasern. Mitglieder der obersten Gefängnisleitung, sagte man uns, seien ebenfalls an solchen Misshandlungen beteiligt gewesen. Den Leiter einer FSC-zertifizierten Strafkolonie beschrieb ein derzeit Inhaftierter als „Sadisten“.    

Das systematische Misshandeln politischer Gefangener soll direkt vom CEO von „Belarus Prison Inc“, Oleg Matkin, angeordnet worden sein. 

Den Leiter einer Kolonie, der ein FSC-Zertifikat zuerkannt wurde, beschrieb ein derzeit dort Inhaftierter uns gegenüber als „Sadisten“. 

Die ersten vier Seiten des 120 Seiten umfassenden Verkaufskatalogs enthalten ein Vorwort des Direktors, gegen den EU-Sanktionen verhängt wurden, und eine Karte, die zeigt, welches Gefängnis was herstellt. 

Die ersten vier Seiten des 120 Seiten umfassenden Verkaufskatalogs enthalten ein Vorwort des Direktors, gegen den EU-Sanktionen verhängt wurden, und eine Karte, die zeigt, welches Gefängnis was herstellt. 

Auch wenn sie Online-Shops, Showrooms und Instagram-Accounts betreiben, sind die Fabriken von „Belarus Prison Inc“ doch ziemlich einfach. Sie sind sicher nicht geeignet, um die größten, anspruchsvollsten westlichen Einzelhandelsunternehmen zu beliefern. Es zeigte sich jedoch, dass die weißrussische Exportwirtschaft Zwangsarbeiter nicht nur für die Produkte einsetzt, die die Strafkolonien direkt ins Ausland verkaufen, sondern noch in weit größerem Ausmaß. Zwangsarbeit ist vor allem indirekt ein wesentlicher Faktor, zum Beispiel durch Bereitstellung von Halbfertigprodukten, Rohstoffen und billiger Arbeitskraft für größere weißrussische Unternehmen. Die westlichen Endkunden dieser Unternehmen sind ihrerseits größer und besser bekannt. Unter ihnen ist IKEA eine der wichtigsten Marken. 

Die IKEA-Connection

IKEA-Einrichtungshaus in St. Petersburg, Russland, im März 2022. Am letzten Tag vor einer vorübergehenden Schließung aller Einrichtungshäuser im Land. Quelle: Natalya On / Shutterstock

IKEA-Einrichtungshaus in St. Petersburg, Russland, im März 2022. Am letzten Tag vor einer vorübergehenden Schließung aller Einrichtungshäuser im Land. Quelle: Natalya On / Shutterstock

Die Bedeutung von weißrussischem Holz für IKEA 

In den letzten zwei Jahren hat Earthsight die ernüchternde Wahrheit hinter IKEAs verspielter Markensprache und schrillen Primärfarben ans Licht gebracht. Wir haben herausgefunden, dass der schwedische Möbelriese der weltweit größte Holzabnehmer ist und pro Sekunde einen Baum verbraucht. Um diesen steigenden Bedarf zu decken, ist IKEA auf die Wälder Russlands und der Länder des ehemaligen sogenannten Ostblocks angewiesen. Die Belieferung aus diesen Ländern ist jedoch ausgesprochen suspekt. 2020 zeigten wir, dass IKEA illegal gefällte Birken aus Wäldern der ukrainischen Karpaten zu billigen Klappstühlen verarbeitete. Im Jahr darauf deckten wir auf, dass Holz aus dem größten Fall illegaler Baumfällungen in Russland für die Herstellung von IKEA-Kindermöbeln verwendet wurde. Der FSC übernahm jeweils das Greenwashing.  

Weißrussland ist ein noch größerer IKEA-Lieferant als Russland oder die Ukraine. 2021 war das Land zum zweitgrößten Holzlieferanten nach Polen aufgestiegen. In dem Jahr, so zeigt unsere Untersuchung, verbrauchte IKEA 1,7 Mio. m3 weißrussisches Holz – fast doppelt so viel wie noch drei Jahre zuvor. Das entspricht über 2,4 Mio. gefällten Bäumen.30  

IKEAs Nachfrage nach weißrussischem Holz hat einen weiteren kräftigen Anstieg der weißrussischen Holz- und Holzmöbelexporte in die EU ausgelöst. Zwei Drittel der weißrussischen Holzexporte gehen in die EU und schossen allein 2021 um 48 Prozent in die Höhe. Sie erreichten ein Volumen von 1,64 Mrd. EUR (siehe Grafik). Die Exporte ins Vereinigte Königreich stiegen indessen noch schneller. Zum Teil lag dies an der großen Nachfrage des umstrittenen Biomassekraftwerks Drax. Die Nachfrage IKEAs (und dessen Grundsatz, nur FSC-zertifiziertes Holz zu verarbeiten) haben Weißrussland außerdem zu einem Aushängeschild für das internationale Umweltsiegel gemacht. Das Land war das erste weltweit, in dem der gesamte Waldbestand zertifiziert war – alle 9 Mio. Hektar. 

Weißrussisches Holz wurde und wird für die Herstellung von vielen IKEA-Produkten verwendet. Earthsight fand Anfang 2022 in einer IKEA-Filiale im Vereinigten Königreich 26 verschiedene Möbelprodukte, die in Weißrussland hergestellt wurden, darunter die beliebte Kommode „Brimnes“ in Weiß und den Polstersessel „Strandmon“. Früher wurden auch die legendären Billy-Regale in Weißrussland produziert (wovon sich Präsident Lukaschenko 2013 selbst bei einer Fabrikbesichtigung überzeugte). Viele weitere IKEA-Produkte wurden in anderen europäischen Ländern aus weißrussischem Holz hergestellt. Wir fanden sogar heraus, dass IKEA-Möbel aus Weißrussland für die Veranstaltungsorte der Klimakonferenz COP26 in Glasgow im November 2021, deren offizieller Partner das schwedische Unternehmen war, verwendet wurden. 

Wir haben die komplett in Weißrussland hergestellten IKEA-Möbel zu Fabriken im Land zurückverfolgt, die im Besitz einer Handvoll polnischer und litauischer multinationaler Möbelunternehmen sind. Die primäre Holzverarbeitung erfolgt jedoch nicht in diesen Unternehmen, sondern in großen weißrussischen Staatsunternehmen, wie wir herausfanden. Denselben Unternehmen, die auch Pressholz und Furniere für die Fertigung von IKEA-Möbel in anderen Ländern herstellen.  

Die Standorte der zwei wichtigsten Lieferanten dieser zweiten Ebene dürften inzwischen vertraut klingen. Der eine ist Babruisk, der andere Iwazewitschy. 

Einige der in Weißrussland hergestellten IKEA-Produkte. Von links nach rechts: Ohrensessel Strandmon mit dunkelblauem Kvillsfors-Bezug, hergestellt vom polnischen Unternehmen Delkom; Kommode Brimnes, hergestellt vom litauischen Unternehmen VMG; Schreibtisch Alex in Grautürkis, hergestellt vom litauischen Unternehmen SBA Mebelain; Eckregal Ivar, hergestellt vom deutsch-russischen Joint Venture MMZ. 

Einige der in Weißrussland hergestellten IKEA-Produkte. Von links nach rechts: Ohrensessel Strandmon mit dunkelblauem Kvillsfors-Bezug, hergestellt vom polnischen Unternehmen Delkom; Kommode Brimnes, hergestellt vom litauischen Unternehmen VMG; Schreibtisch Alex in Grautürkis, hergestellt vom litauischen Unternehmen SBA Mebelain; Eckregal Ivar, hergestellt vom deutsch-russischen Joint Venture MMZ. 

Verunreinigte Lieferkette 

Earthsight hat mit zwei Insidern des weißrussischen öffentlichen Diensts gesprochen, deren Aufgaben ihnen privilegierten Zugang zu relevanten Informationen über die Holz- und weitere Lieferketten im Zusammenhang mit dem Gefängnissystem verschaffen. Unter der Voraussetzung, anonym zu bleiben, erklärten sie, dass die Gefängnisse seit Jahren eng und systematisch mit den IKEA-Lieferketten verwoben und dass diese Verbindungen hinter einem komplexen Zwischenhändlernetz verborgen sind. 

Ein Frauengefängnis, die Strafkolonie IK 4 in Gomel, ist auf das Nähen und die Herstellung von Bekleidung und anderen Textilien spezialisiert sowie in der Uniformherstellung führend. Unseren Quellen zufolge steht das Gefängnis schon seit langem in Geschäftsbeziehungen mit Mogotex, einem Staatsunternehmen, das der größte Textilhersteller des Landes ist. Die Gefangenen dort würden helfen, aus Stoff Bezüge für Polstermöbel zu machen, die für IKEA hergestellt würden, so unsere Quellen. Sie gaben außerdem an, dass ein zweites, kleineres Gefängnis, und zwar für Jugendliche, in Babruisk, auch mit den IKEA-Lieferketten in Zusammenhang stehe.   

Mogotex ist mit Sicherheit ein langjähriger IKEA-Lieferant, der das Unternehmen seit 2002 mit Textilien beliefert. Earthsight hat in offiziellen Akten Belege für die Geschäftsbeziehungen zwischen Mogotex und dem Hauptgefängnis in der Stadt gefunden, aus denen allerdings nicht deren genauer Charakter hervorgeht. 

Die wichtigste Geschäftsverbindung, von der unsere Quellen sprachen, ist die zum Unternehmen Iwazewitschdrew, dem größten holzverarbeitenden Unternehmen Weißrusslands. Das Staatsunternehmen ist einer der größten Hersteller des Landes von laminierten Spanplatten, einem wichtigen Rohmaterial für die Produktion preisgünstiger Möbel. Die Spanplattenherstellung ist zwar das Hauptgeschäft des Unternehmens, allerdings ist Iwazewitschdrew an allen Stufen des Produktionszyklus beteiligt, vom Holzeinschlag über den Transport bis hin zur Herstellung fertiger Produkte.31 Es werden jährlich eine Dreiviertelmillion Bäume verarbeitet.32 Bis zur Verhängung der jüngsten Sanktionen gegen Weißrussland exportierte Iwazewitschdrew ein Viertel der produzierten Spanplatten in die EU. Der Export von fertigen Möbeln und Möbelteilen geht unverändert weiter.33 

Iwazewitschdrew wirbt stolz mit der eigenen FSC-Zertifizierung als Beleg dafür, dass die Produkte des Unternehmens umweltverträglich seien. 

Von Mitgliedern der Gefängnisleitung erfuhren wir, dass die Lieferkette von Iwazewitschdrew (und daher auch die von IKEA) sehr eng mit den nahegelegenen Gefängnissen verbunden ist, auch wenn dies mit Hilfe mehrerer Zwischenhändler sorgfältig verschleiert werde. Viel wichtiger als die Verarbeitung in den Gefängnissen sind aber vielleicht die Arbeitskräfte, die von dort bereitgestellt werden.   

Es ist uns gelungen, mit einem aktuell in der Strafkolonie IK 5 Inhaftierten zu sprechen. Wir erfuhren von ihm, dass Iwazewitschdrew schon seit Langem die Arbeitskraft von Gefangenen aus der Strafkolonie nutzt und dass dies nicht nur die Häftlinge und die Beschäftigten von Iwazewitschdrew wissen, sondern der ganze Ort. Dass billige Zwangsarbeiter vom Unternehmen beschäftigt werden, berichtete uns ein Inhaftierter, stößt bei den Einwohnern des Orts auf Ablehnung, weil „das Management die eigenen Arbeiter damit erpresst, dass sie einen kostenlosen Zwangsarbeiter als Ersatz für jeden finden würden, der den Anordnungen des Managements nicht Folge leistet. Das ist gängige Praxis.” 

Iwazewitschdrew, wo wir erfuhren, dass Zwangsarbeiter aus der Strafkolonie für die Herstellung von Waren eingesetzt werden, die in die EU verkauft werden. 

Iwazewitschdrew, wo wir erfuhren, dass Zwangsarbeiter aus der Strafkolonie für die Herstellung von Waren eingesetzt werden, die in die EU verkauft werden. 

Der größte Arbeitgeber in Babruisk hingegen ist ebenfalls ein Staatsunternehmen, nämlich das Sägewerk FanDOK. Wie auch Iwazewitschdrew ist sie Teil der übergreifenden staatlichen Unternehmensgruppe für Holzverarbeitung Bellesbumprom. Noch kürzlich lieferte FanDOK pro Monat über 4.000 m3 Sperrholzplatten aus Kiefer und Birke an IKEA-Fabriken in Rumänien und Polen, die in Polstermöbeln und Vitrinenschränken sowie Stühlen verbaut werden.34  

Von unseren Insiderquellen wissen wir, dass die Lieferketten von FanDOK, genauso wie die von Iwazewitschdrew, über mehrere zwischengeschaltete Unternehmen mit den Gefängnissen verbunden sind. Angesichts der Nähe der Strafkolonie IK 2 zur Fabrik und des uns bekannten systematischen Einsatzes von Zwangsarbeitern in Unternehmen der Privatwirtschaft, ist es gut möglich, dass auch dort Arbeitskräfte aus den Gefängnissen zum Einsatz kommen.  

Einen Diktator stützen, einen Krieg anheizen 

Logging in the Bialowieza forest. Source: Alamy

Logging in the Bialowieza forest. Source: Alamy

Stätte des Weltkulturerbes und der „graue Kardinal“ 

„Man bekommt wirklich den Eindruck, man sei einige hundert oder tausend Jahre in die Vergangenheit gereist“, so beschrieb der lokale Reiseführer und Autor Lukasz Mazurek gegenüber Mongabay den Besuch in Bialowieza.35 Der Wald, der sich entlang der Grenze zwischen Polen und Weißrussland erstreckt, ist das wertvollste Urwaldgebiet Europas. Auf einem Gebiet, das zweimal so groß ist wie die Metropolregion London, befindet sich das letzte zusammenhängende Stück des ursprünglichen Walds, der einmal einen Großteil des Kontinents bedeckt hat. Wölfe und Luchse streifen noch heute durch diesen Wald, in dem auch die größte noch verbliebene Population des bedrohten europäischen Wisents beheimatet ist.  

Auf die Frage von Mongabay, welches die drei Hauptbedrohungen für Bialowieza sind, antwortete Mazurek: „Abholzung, Abholzung und Abholzung”. Damit bezog er sich vor allem auf den polnischen Teil des Walds, denn Ende der 2010er Jahre ging ein Aufschrei durch die Welt, als Pläne für dessen Abholzung bekannt wurden. Zwar sorgte die Entrüstung über diese Pläne dafür, dass die polnischen Behörden eine Kehrtwende vollzogen, gleichzeitig wuchs aber fast unbemerkt die Bedrohung durch Abholzung für den weitaus größeren Teil des Bialowieza-Walds auf weißrussischer Seite.  

Wie in vielen anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind auch in Weißrussland alle Wälder in Staatsbesitz. Die meisten werden erwartungsgemäß von der Forstbehörde verwaltet, allerdings kontrolliert eine weitaus überraschendere Institution ein gewichtiges Stück. Gut 8 Prozent der weißrussischen Wälder, einschließlich derjenigen mit den wertvollsten Hölzern, stehen unter direkter Kontrolle der Liegenschaftsverwaltung beim Präsidenten Weißrusslands (UDPRB).36 Das macht sie wortwörtlich zum direkten Besitz des Autokraten Alexander Lukaschenko.  

Alexander Lukaschenko

Alexander Lukaschenko

Die UDPRB wird auch als persönliche schwarze Kasse Lukaschenkos bezeichnet. Von 2013 bis Mitte 2021 verwaltete sie Viktor Scheiman, der seit über 25 Jahren des Präsidenten rechte Hand ist. Scheiman ist eine berüchtigte, düstere Figur in Weißrussland. Er trägt den Beinamen „grauer Kardinal“ und gilt weithin als mächtigste Person des Landes, gleich nach Lukaschenko. Schon seit 2004 verhängt die EU Sanktionen gegen ihn. Sie macht ihn persönlich verantwortlich für das „Verschwinden“ von (und den vermuteten Mord an) drei führenden Köpfen der Opposition zwischen 1999 und 2000.37  

Viktor Scheiman

Viktor Scheiman

Die UDPRB ist nicht nur der größte Besitzer gewerblicher Immobilien in Weißrussland, sondern besitzt auch alle Nationalparks des Landes und einige angrenzende Wälder. Obwohl die Wälder überwiegend unter Schutz stehen, werden sie abgeholzt, und die Profite gehen an die UDPRB. Earthsight hat Daten gewonnen und gegenübergestellt, die zeigen, dass in solchen Wäldern jedes Jahr über eine Million m3 Holz geschlagen wird – darunter fast 200.000 m3 Kiefer, Fichte, Eiche und Birke aus dem weißrussischen Teil von Bialowieza, dem Nationalpark Bjeloweschskaja Puschtscha.38 Verbote der gewerblichen Abholzung werden systematisch unter dem Vorwand umgangen, dass die geschlagenen Bäume beschädigt oder von Schädlingen befallen seien und daher entfernt müssten, um den Rest des Waldes zu schützen. Diese Fällungen aus waldhygienischen Gründen sind ein Schlupfloch, das auch das angrenzende Russland und die Ukraine nutzen, um gesunde Bäume illegal zu schlagen. Dasselbe gilt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für die Waldgebiete Weißrusslands, die unter Schutz stehen.39 

Dass dies zu Entwaldung führt, daran besteht kaum ein Zweifel. Earthsight ist in den Besitz einer Ausfertigung des langfristigen Plans für das Abholzen eines großen Stücks des Nationalparks Bjeloweschskaja Puschtscha gelangt, der den 10-Jahres-Zeitraum bis 2025 abdeckt. Der Plan sieht vor, die jährlich erlaubten Einschläge absichtlich zu überschreiten – also die Menge, die als nachhaltig gilt. Daher, so liest man in dem Dokument recht freimütig, werden sich „die mit Wald bedeckten Flächen etwas reduzieren.“ 40 

Karte des „holzverarbeitenden Gefängnis-Industrie-Komplexes“ in Weißrussland und der Wälder im Besitz von Lukaschenkos schwarzer Kasse 

Karte des „holzverarbeitenden Gefängnis-Industrie-Komplexes“ in Weißrussland und der Wälder im Besitz von Lukaschenkos schwarzer Kasse 

Der UDPRB und der Gefängnisproduktion Weißrusslands werden von den Regierungsbehörden profitable Vergünstigungen gewährt. Während alle anderen Holzproduzenten in Staatsbesitz ihre Produkte in transparenten, staatlich geführten Online-Auktionen verkaufen müssen, wird dies von UDPRB und Straflagern nicht verlangt. Das Schlupfloch scheint zu Ausbeutung einzuladen. Die Gefängnisse rühmen sich aktiv mit dieser Vergünstigung, wenn sie ihre Waren bewerben – und locken so die Kunden, die dadurch Preise unter den tatsächlichen Marktpreisen zahlen.  

In internen Erläuterungen zu Lukaschenkos schwarzer Kasse wird eingeräumt, dass der Holzeinschlag im Nationalpark eine „etwas geringere Waldfläche“ nach sich ziehen wird 

Obwohl alle genannten Informationen öffentlich sind, erhielten sämtliche weißrussische Nationalparks unter der Kontrolle der UDPRB FSC-Zertifizierungen, die es ihnen ermöglichen, ihre Produkte als „grün“ zu vermarkten. Der erste der Nationalparks erhielt sein Zertifikat im Dezember 2014. Das Zertifikat für Bjeloweschskaja Puschtscha wurde im August 2015 von NEPCon erteilt, dem dänischen Unternehmen, das auch für die Zertifizierung mehrerer Strafkolonien verantwortlich zeichnete. Der zuletzt für eine Zertifizierung geprüfte Wald im Besitz der UDPRB (in diesem Fall kein Nationalpark) wurde von noch einem weiteren für FSC-Zertifizierungen zugelassenen Unternehmen auditiert, nämlich der multinationalen SGS mit Hauptsitz in der Schweiz. Das Unternehmen erteilte das Zertifikat im Januar 2020.41 

Angesichts des Vertrauens, das Käufer in FSC-Zertifikate setzen, können wir sicher sein, dass das Holz aus diesen Nationalparks in die Lieferketten der EU Eingang gefunden hat, einschließlich der Lieferketten IKEAs. Iwazewitschdrew, das staatseigene Unternehmen, das ehemals IKEA beliefert hatte, beschäftigt nach unseren Erkenntnissen Zwangsarbeiter und verfügt sogar über eine Tochtergesellschaft samt Sägewerk nahe des Nationalparks Bjeloweschskaja Puschtscha, in dem dessen Holz verarbeitet wird. 

Wölfe im Nationalpark Bjeloweschskaja Puschtscha, von dessen Abholzung die schwarze Kasse Lukaschenkos profitiert. Bis vor Kurzem sogar noch mit FSC-Zertifizierung. Quelle: Mateusz Szymura 

Wölfe im Nationalpark Bjeloweschskaja Puschtscha, von dessen Abholzung die schwarze Kasse Lukaschenkos profitiert. Bis vor Kurzem sogar noch mit FSC-Zertifizierung. Quelle: Mateusz Szymura 

Das Ende vom Lied? 

Am 24. Februar 2022 sah die Welt mit Entsetzen zu, als zum ersten Mal seit einer Generation wieder ein groß angelegter Bodenkrieg in Europa Einzug hielt. Weißrussland mit seiner langen, verhältnismäßig wenig befestigten Grenze zur Ukraine und der Nähe zur Hauptstadt Kiew war dabei ein wichtiger Stützpunkt für Putins Invasion. Lukaschenkos anhaltende Unterstützung des Krieges untergräbt die weltweiten Bemühungen, Russlands Aggression zu bestrafen.  

Als Reaktion auf Weißrusslands Kriegsunterstützung haben westliche Regierungen die Sanktionen gegen das Regime stark ausgeweitet. Die staatlichen Banken sind vom internationalen Finanzsystem abgeschnitten. Die Liste der Personen, gegen die Reiseverbote verhängt und deren Vermögen beschlagnahmt wurden, ist länger geworden. Und endlich – viel zu spät –, erst als Reaktion auf die Forderungen ukrainischer und weißrussischer Bürgerrechtsgruppen, denen Earthsight als wichtiger Verbündeter Gehör verschaffte42, hat die Europäische Union ihre Handelssanktionen auch auf den Handel mit Holz ausgeweitet.43 Sanktionen dieser Art hatte der Europäische Rat schon nach der Aggression im Jahr 2020 in Betracht gezogen, damals jedoch abgelehnt – es hieß, infolge der gemeinsamen Lobbyarbeit der europäischen Holzindustrie, die zunehmend vom Rohmaterial aus Weißrussland abhängig geworden war.44 

Unter dem Druck eines großen Bündnisses europäischer Bürgerrechtsgruppen, die auf die verzweifelten Hilferufe ihrer Freunde in der Ukraine reagierten, begannen Firmen in der Holzindustrie, einschließlich der Umweltsiegel, ebenfalls ihre Verbindungen zu Russland und Weißrussland zu kappen. Am 3. März 2022 gab IKEA bekannt, sämtliche Importe aus beiden Ländern zu pausieren sowie die Produktion und Verkäufe dort zu stoppen. Drei Tage später verkündete der FSC die Beendigung aller Zertifikate in Weißrussland. Laut Statement des FSC (etwas unglaubwürdig in Anbetracht des Timings) sei die Entscheidung vom Konflikt unabhängig gefallen und läge darin begründet, dass die Auditoren gewisse soziale FSC-Kriterien aufgrund von Sicherheitsrisiken nicht mehr überprüfen könnten – Risiken, die der FSC bereits vor Kriegsbeginn dokumentiert hatte. 

Die FSC-Zertifikate der vier Gefängnisse waren bereits zuvor still und leise aufgehoben worden. Zwei von ihnen endeten im Mai 2021. IK 5 in Iwazewitschy verlor sein Zertifikat am 1. September. Das letzte, von IK 2 in Babruisk, endete am 26. November 2021. Die Gründe dafür bleiben geheim. Möglicherweise ließen die Gefängnisdirektoren sie einfach auslaufen, weil sie ihnen die Kosten nicht wert waren. Eine wesentliche Verletzung der FSC-Regeln durch die Gefängnisse kann als Grund ausgeschlossen werden, denn diese hätte zu einem anderen Ergebnis geführt, das im FSC-Sprech als „terminated and blocked“ („beendet und gesperrt“) bezeichnet wird. Die Gefängnisse wurden nicht auf eine schwarze Liste gesetzt. Hätten sie zurückkehren wollen, wären sie im FSC-Universum weiterhin willkommen gewesen. Iwazewitschdrew verlor sein Zertifikat dagegen erst als der FSC sich nach der russischen Invasion vollständig aus dem Gebiet zurückzog. 

Mit den Ergebnissen von Earthsights Untersuchung konfrontiert, gab der FSC an, „Zwangsarbeit ist nicht in allen Strafkolonien vorzufinden“ und fügte hinzu, FSC-Audits der Gefängnisse hätten ergeben, dass die Gefangenen nicht zur Arbeit gezwungen und außerdem entlohnt würden, „wenn auch gering”.  Die Organisation gab an, dass die „Zertifizierungsstellen die FSC-Zertifikate für Strafkolonien 2021 aufgrund von Bedenken wegen Menschenrechtsverletzungen (in Folge der Wahlen 2020) aufgehoben“ hätten. Der FSC erklärte jedoch nicht, warum, wenn dies der Fall war, beendete Zertifikate nicht als „beendet und gesperrt” geführt wurden, und warum, die Beendigung der Zertifikate so lange auf sich warten ließ.  Preferred by Nature erklärte, man habe „zum Zeitpunkt der Zertifizierung keine Anhaltspunkte dafür gehabt, dass es in IK 5 politische Gefangene gibt“. Auch in Gesprächen mit „örtlichen Verantwortlichen” nach dem Erhalt unserer Informationen sei „kein Hinweis darauf gefunden worden, dass es zum Zeitpunkt der Zertifizierung Zwangsarbeit in Iwazewitschdrew gegeben hat“. SGS gab an, sämtliche Zertifizierungen, die ausgestellt worden seien, entsprächen allen relevanten Standards und SGS habe keine FSC-Zertifikate für Organisationen oder Personen ausgestellt, die mit internationalen Sanktionen belegt waren. Rainforest Alliance betonte, der Schutz von Menschenrechten in den weltumspannenden Lieferketten mache den „Kern [ihres] Auftrags“ aus. Weitere Einzelheiten zu den Stellungnahmen der Unternehmen sind am Ende des Berichts zu finden. SCS reagierte nicht auf Bitten um Stellungnahme. 

Die Handelssanktionen der EU traten am 3. Juni 2022 in Kraft. Alle Holzexporte aus Weißrussland in die Europäische Union sind inzwischen eingestellt. Ein großes Schlupfloch bleibt jedoch: Der Export von Möbeln wurde von den Sanktionen ausgenommen. Die Gründe der EU hierfür sind undurchsichtig. Aber der Verdacht drängt sich auf, dass dies mit der Tatsache zusammenhängt, dass die größten Möbelexporteure in Weißrussland, im Gegensatz zu den Exporteuren von unverarbeitetem Bauholz, vollständig in europäischem Besitz sind. 

Offensichtlich profitieren Europäische Firmen gerne von diesem Schlupfloch. IKEAs freiwilliger Rückzug hat zwar zu einem wesentlichen Handelsrückgang geführt, dennoch hat keiner der europäischen Konkurrenten es dem Möbelhaus gleichgetan. Daher passieren nach wie vor Holzprodukte im Wert von Millionen EUR die Grenze. Allein im Juli 2022 kauften europäische Unternehmen Holzmöbel und Möbelteile im Wert von 13,9 Mio. EUR in Weißrussland ein.45 Und wie Earthsight festgestellt hat, sind darunter auch Produkte, die wahrscheinlich in Zwangsarbeit hergestellt wurden. 

Bequeme Sessel, unbequeme Wahrheiten 

Zwanzig EU-Mitgliedstaaten importieren weiterhin Holzmöbel aus Weißrussland, auch nachdem der Handel mit unverarbeitetem Bauholz mit Sanktionen belegt wurde. Die mit Abstand größten Abnehmer sind allerdings Polen, Deutschland und Litauen. Polen und Litauen importieren hauptsächlich Möbelteile, die dann zu fertigen Produkten weiterverarbeitet und an unbekannte Zielorte weiterverkauft werden. Deutschland kauft dagegen direkt die fertigen Produkte ein. 

Deutschland war schon seit langer Zeit einer der größten Abnehmer von weißrussischem Holz, sowohl von unverarbeitetem Holz als auch von fertigen Möbeln. Und ist es auch weiterhin. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Berichts importierten deutsche Unternehmen pro Woche Holzmöbel im Wert von etwa 1 Mio. EUR aus Weißrussland. 

Der wahrscheinlich größte Importeur ist eine deutsche Firma namens Polipol, die ihren Hauptsitz im Norden Deutschlands, in Diepenau, hat. Polipol, ein großer multinationaler Konzern mit einem Umsatz von 0,5 Mrd. EUR und etwa 8.500 Angestellten, ist spezialisiert auf Sofas und gemütliche Sessel, die in Fabriken in Osteuropa hergestellt und auf dem ganzen Kontinent verkauft werden. Die Firma gehört eigenen Angaben zufolge zu den „führenden Polstermöbelherstellern in Europa“. 

Den Insassen von IK 5, die auf das weitläufige Gelände des ehemaligen IKEA-Zulieferers Iwazewitschdrew gekarrt werden, wird der Name Polipol wahrscheinlich ein Begriff sein, weil das Unternehmen direkt neben dem Straflager eine Möbelfabrik betreibt.  

2018 einigte sich Polipol mit der Regierung Weißrusslands auf einen Deal, um eine neue Produktionsstätte im Land zu eröffnen. Teil der Abmachung war auch, Räumlichkeiten des staatseigenen Unternehmens Iwazewitschdrew zu mieten und dort hergestellte Spanplatten für die Herstellung der eigenen Sofas zu verwenden. Heute beschäftigt die Fabrik 600 Angestellte in drei Schichten, die jeden Monat Polstermöbel im Wert von einer Million EUR produzieren – alles Exportware. 46 In Polipols Fabrik in Weißrussland rollt etwa alle 15 Minuten ein Sofa oder ein Sessel vom Band. Bis vor Kurzem lieferte Iwazewitschdrew auch noch das Rohmaterial für die Fabriken Polipols in Polen und Rumänien.47 

Im Gegensatz zu IKEA und trotz des Rückzugs des FSC weigert Polipol sich, seine Aktivitäten in Weißrussland als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine einzustellen. Marc Greve, Geschäftsführer von Polipol, sagte am 25. April 2022 in einem Interview mit einer deutschen Branchenzeitschrift der Möbelindustrie, „wir verurteilen, wie alle, diesen furchtbaren Krieg“, die Möbelproduktion in Weißrussland laufe aber „wie gewohnt“ weiter.48 Die von Iwazewitschdrew durch Sklavenarbeit misshandelter politischer Gefangener hergestellten Möbel-Spanplatten werden zwar nicht mehr von IKEA verwendet, aber aus ihnen werden weiterhin Produkte hergestellt, die auf Verkaufsflächen von Möbelhäusern in ganz Europa zu finden sind. So prahlte Iwazewitschdrews CEO im Juli 2022, dass nach einer kurzen Pause zu Kriegsbeginn die „europäischen Partner“ nun bereit seien, wieder mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten.49 

Polipols Möbel werden in Hunderten Geschäften überall in Europa verkauft, darunter 19 der 27 EU-Mitgliedsstaaten.50 Zu den Händlern zählt die österreichische XXXLutz-Gruppe, eines der größten Möbelhäuser der Welt. Die Kette mit dem Spitznamen „Österreichs IKEA“, die in großen Teilen Europas für die gigantischen roten Stühle vor ihren Riesengeschäften berühmt ist, wird in Sachen Verkaufszahlen auf dem europäischen Kontinent nur noch von der schwedischen Marke übertroffen51 und hat nach eigenen Angaben „10 Millionen Stammkunden“.52 Polipols Möbel werden von der XXXLutz-Tochter POCO verkauft, einem führenden Möbeldiscounter mit 125 Filialen und einem Jahresumsatz in Deutschland von über 1,6 Mrd. EUR. Möbel von Polipol finden sich auch bei den meisten großen Konkurrenten von XXXLutz auf dem deutschen Möbelmarkt, einschließlich bei Porta Möbel/Möbel Boss, Höffner und Roller. In Frankreich werden Polipols Sofas in den Filialen der größten landeseigenen Möbelkette, BUT, verkauft. 53 IKEA ist so ziemlich der einzige der zehn größten Möbelhändler in Europa, der die Produkte der Firma nicht im Sortiment hat. 

Earthsight konnte Verbindungen zwischen der Sklavenarbeit politischer Gefangener in Weißrussland und allen großen deutschen Möbelketten aufdecken. 

Earthsight konnte Verbindungen zwischen der Sklavenarbeit politischer Gefangener in Weißrussland und allen großen deutschen Möbelketten aufdecken. 

Die von Iwazewitschdrew selbst produzierten Möbel werden ebenfalls in Deutschland verkauft. Als Earthsight das Unternehmen im November 2022 kontaktierte und sich als potenzieller Kunde ausgab, erfuhren wir, dass Iwazewitschdrew Möbel an die deutsche Bega Gruppe verkauft. Das Unternehmen, das in den letzten Jahren mit niedrigen Preisen, die die Konkurrenz ausstechen54, eine lukrative Marktnische auf dem europäischen Möbelmarkt erobert hat, machte 2021 einen Umsatz von 622 Mio. EUR. Bega liefert Möbel an Händler in ganz Europa, darunter auch Filialen von XXXLutz.55 

Polipol und Iwazewitschdrew sind nicht die einzigen Bindeglieder, über die weißrussisches Holz in die EU gelangt, das mit Missbrauch in den Gefängnissen des Landes in Verbindung gebracht wird. FanDOK, das große staatseigene Sägewerk in Babruisk, von dem uns berichtet wurde, dass es eng mit der nahegelegenen Strafkolonie verbunden ist, exportiert jetzt Möbel direkt nach Deutschland. Im September 2022 brüstete sich der Direktor damit, dass die Firma, weil sie aufgrund der Sanktionen kein unverarbeitetes Holz mehr in die EU exportieren könne, stattdessen die eigene Möbelproduktion hochgefahren hätte. „Letztes Jahr haben wir 5–6 Möbelmodelle für den deutschen Markt produziert, jetzt haben wir 21 Modelle“, sagte er.56 Das Unternehmen hätte zuvor einen deutschen Abnehmer für seine Möbel gehabt, jetzt seien es drei, behauptet er.57 

Damit sind europäische Konsumenten nicht nur an der Folter politischer Gefangener beteiligt, sondern füllen auch auf direktem Weg die Taschen eines Diktators. Durch die finanzielle Unterstützung des Lukaschenko-Regimes unterstützen ihre Möbelkäufe auch Russlands kriminellen Krieg in der Ukraine. 

XXXLutz gab gegenüber Earthsight an, ein Drittunternehmen, nämlich die deutsche Firma GIGA International, sei für den eigenen und den Wareneinkauf der Tochterunternehmen Poco und BUT zuständig, und verwies uns an diese für eine Stellungnahme. GIGA gab an, sämtliche Kooperationen mit direkten Lieferanten in Weißrussland im Februar 2022 aufgekündigt und ihre (indirekten) Lieferanten Polipol und Bega um eine detaillierte Stellungnahme gebeten zu haben. Das Unternehmen erklärte, es verpflichte alle Lieferanten dazu, sämtliche geltenden Regeln und Gesetze einzuhalten. Dies stelle einen „zentralen Bestandteil der Lieferantenverträge dar“. GIGA sagte weiter, dass eigene Lieferkettenaudits sowie die von Drittunternehmen 2021 in Weißrussland „keine Unregelmäßigkeiten“ ergeben hätten, auch im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte. IKEA gab an, keinen Kommentar abgeben zu wollen. Die Bega Gruppe, Roller und Porta-Möbel/Möbel Boss haben sich auf unsere Bitte um Stellungnahme nicht gemeldet. Genauso wenig wie Iwazewitschdrew und FanDOK. 

Was muss geschehen? 

Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Shutterstock

Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Shutterstock

Staatliches Handeln 

Das Problem lässt sich nicht allein auf ein einziges unzureichendes Zertifizierungsunternehmen zurückführen. Fünf unterschiedliche Unternehmen waren bereit, FSC-Zertifikate für weißrussische Gefängnisse und/oder Nationalparks im Besitz der Liegenschaftsverwaltung beim Präsidenten Weißrusslands auszustellen, trotz ihres Rufs und der EU-Sanktionen gegen ihre Führungsspitzen. Das Problem lässt sich auch nicht auf einen einzigen nachlässigen Händler herunterbrechen. Jedes größere Möbelhaus auf dem europäischen Kontinent ist darin verwickelt. Die Schuld lässt sich noch nicht einmal ausschließlich bei FSC suchen. Der größte internationale Konkurrent des Umweltsiegels, PEFC, stellte ebenfalls munter Freifahrtscheine für Wälder der Liegenschaftsverwaltung und für mindestens ein Gefängnis in Weißrussland aus (nach der Invasion in der Ukraine wurden sämtliche PEFC-Zertifikate auch ausgesetzt).58 Und obwohl beide Umweltsiegel sich mittlerweile aus dem Land zurückgezogen haben, geht der Handel, wenn auch in geringerem Maße, trotzdem weiter. 

Was am dringendsten gebraucht wird, ist ein stärkeres Eingreifen der Regierungen.  

Bestehende EU-Sanktionen müssen unbedingt auf Holzmöbel, Holzstoff und Papier aus Weißrussland ausgeweitet werden. Diese Ausweitung sollte nicht allein durch Weißrusslands Beteiligung am Konflikt gerechtfertigt werden, sondern auch durch die vom Lukaschenko-Regime zu verantwortenden Menschenrechtsverletzungen, die bereits davor stattfanden. Die Sanktionen sollten erst dann aufgehoben werden, wenn diesen Menschenrechtsverletzungen Einhalt geboten wurde. 

In der Zwischenzeit muss die EU ihren bestehenden Handlungsspielraum ausschöpfen, um Importe dieser Art zu verhindern. Eine EU-Verordnung, die Europäische Holzhandelsverordnung (kurz „EUTR“ für engl. „European Timber Regulation“), verpflichtet Importeure, sicherzustellen, dass nur ein vernachlässigbares Risiko besteht, dass Lieferungen von Holz und Holzerzeugnissen aus illegalen Verhältnissen stammen. In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen in Weißrussland erklärte die Europäische Kommission im April 2022 dies sei für Unternehmen nun „unmöglich“ geworden und der Import von Holzerzeugnissen aus Weißrussland sowie von aus weißrussischem Holz gefertigten Erzeugnissen daher einzustellen, auch wenn diese noch nicht mit Sanktionen belegt seien.59 Geschehen ist dies jedoch nicht. Zwanzig EU-Staaten verzeichnen weiterhin Importe aus Weißrussland, die den Regelungen der EUTR unterliegen sollten, mit Polen, Litauen und Deutschland als den Haupttätern.60 Die für die Umsetzung der Verordnung verantwortlichen Stellen scheitern ganz offensichtlich daran, sie durchzusetzen.61 

Das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten müssen ebenfalls Sanktionen gegen Oleg Matkin, den Leiter der Strafvollzugsbehörde, verhängen und den Import sämtlicher Holzprodukte aus Weißrussland verbieten. Momentan stehen ihre Tore sogar für unverarbeitetes Holz immer noch weit offen. 

Ganz allgemein betrachtet zeigt dieser Fall, dass westliche Verbraucherländer dringend aktiv werden müssen und der Handlungsbedarf über Sanktionen und das Festlegen spezifischer Kategorien von risikobehafteten Gütern, wie Holz, hinausgeht. Es müssen dringend neue Gesetze verabschiedet werden, die europäische Firmen dazu zwingen, ihre Lieferketten zu überprüfen. Nur so kann sichergestellt werden, dass sie nicht zum Leid in anderen Ländern beitragen: zu Umweltzerstörung, Zwangs- und Kinderarbeit und zu anderen Menschenrechtsverletzungen. Ein kürzlich in Deutschland verabschiedetes Gesetz, das ursprünglich genau darauf abzielte, wurde durch Lobbyarbeit stark aufgeweicht. Es hätte diesen Fall nicht verhindern können, weil sich die erforderlichen Lieferketten-Prüfungen nur auf die direkten Zulieferer der Firmen erstrecken.62 Der schwarze Peter liegt nun wieder bei der EU, die eine eigene Gesetzgebung zur Regelung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht in Betracht zieht.63 Die europäischen Gesetzgeber müssen sich nun entschlossener gegen die Macht der Unternehmen stellen als es die deutschen getan haben, ein wirkungsvolles Gesetz verabschieden und dessen Umsetzung strikt durchsetzen. 

Das weltweit führende Umweltlabel vor sich selbst retten 

Bis sie dazu verpflichtet werden, müssen alle Unternehmen in der EU, im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten freiwillig den Kauf von Holz und Holzprodukten aus Weißrussland einstellen. Sie müssen außerdem ihre Lieferketten überprüfen, um sicherzustellen, dass sie keine Möbel kaufen, die zwar andernorts, aber mit aus Weißrussland importierten Teilen hergestellt werden, so wie es durchaus bei allen Produkten der Fall sein könnte, die aus Polen oder Litauen bezogen werden. Multinationale Konzerne in europäischem Besitz, die diese Produkte in Weißrussland herstellen, einschließlich großer polnischer, litauischer und österreichischer Firmen, müssen es ihrem größten Kunden, IKEA, gleichtun und sich aus dem Land zurückziehen. 

Aber auch in Bezug auf Greenwashing müssen Regierungen und Unternehmen ihre Lehren aus dieser Geschichte ziehen. Die Verfehlungen des FSC beschränken sich nicht allein auf Weißrussland.64 EU-Behörden dürfen FSC-Zertifizierungen nicht mehr mit der Einhaltung der Regelungen der EUTR gleichsetzen. Unternehmen, die mit FSC-zertifizierten Produkten arbeiten – und das schließt alle bedeutenden Einzelhändler des Kontinents ein –, müssen sich dafür einsetzen, dass die Forderungen nach einer Reform des Umweltsiegels erhört werden.65 Momentan stolpert der FSC von einem Skandal in den nächsten, während munter abgestritten wird, es könne vielleicht ein größeres Problem vorliegen. Bei seiner letzten zweijährlichen Versammlung im üppigen Grün Balis im Oktober 2022 wurde keiner der wichtigsten Kritikpunkte thematisiert.  

Wie Earthsight im November 2021 dokumentierte, ist die Geschichte des FSC gespickt mit Skandalen. 

Wie Earthsight im November 2021 dokumentierte, ist die Geschichte des FSC gespickt mit Skandalen. 

Das spektakuläre Versagen des FSC in Weißrussland lässt sich weder vereinzelten Versehen zuschreiben noch ließe es sich durch geringfügige Änderungen der FSC-Regeln verhindern. Es ist das Ergebnis einer schädlichen Kultur innerhalb der Organisation, die Wachstum über Vernunft stellt. Immer wieder werden Regeln einfach blind befolgt. Es gibt keine Regel, die besagt, dass ein Gefängnis, in dem Folter stattgefunden hat oder in dem politische Gefangene eingesperrt sind, nicht zertifiziert werden kann. Aber die sollte es auch nicht geben müssen. Alles baut sich auf der grundlegenden Annahme auf – egal, wie viele Warnsignale es auch gibt –, dass die Anwärter für die Zertifizierung ehrlich sind. Dass der FSC auf einem Modell beharrt, das vorsieht, dass Auditfirmen um Aufträge der Unternehmen konkurrieren, die sie eigentlich überwachen sollen, ist zunehmend bizarr, vor allem, da sich die Beweise häufen, dass dies nur zu einem Unterbietungswettbewerb führen kann. 

Die Ausflüchte des FSC, man müsse sich selbst, ohne Rücksicht auf die Umstände, akribisch an die eigenen Regeln halten, klingen zunehmend hohl. Den Beweis, dass schnelles Handeln möglich ist, wenn ein nicht zu verleugnender, dringlicher Bedarf entsteht, erbrachte der FSC mit seiner Reaktion auf die zivilgesellschaftlichen Forderungen nach dem Überfall auf die Ukraine. Maßnahmen in Weißrussland, die angeblich bereits in Arbeit waren, wurden rasch umgesetzt, während sich der FSC in Russland ein Bein ausriss, indem er über Nacht einen völlig neuen Zertifikatstyp einführte, um so seine Tätigkeiten dort einerseits einzustellen, aber andererseits auch irgendwie nicht. 

Der FSC muss eine unabhängige Untersuchung einleiten, um das spektakuläre Versagen des Umweltlabels in diesem Fall aufzuklären, die Ergebnisse veröffentlichen und jegliche sich daraus ergebenden Empfehlungen umsetzen. Die Organisation muss außerdem die tieferliegenden Mängel in ihrer internen Kultur und Struktur, die Skandale wie diesen immer wieder möglich machen, anerkennen und angehen – einschließlich der Art, wie ihre Audits finanziert werden. Diejenigen, die sich auf die FSC-Zertifikate verlassen, wie die EU-Regierungen und die größten Fans des FSC, IKEA und WWF, müssen verlangen, dass diese Schritte umgesetzt werden. 

Tun sie dies nicht, wird der nächste Skandal nicht mehr lange auf sich warten lassen. 

Anhang: Reaktionen der Unternehmen 

Preferred by Nature erklärte: „Zum Zeitpunkt der Zertifizierung hatten wir keine Anhaltspunkte dafür, dass in IK 5 politische Gefangene inhaftiert sind.“ Auch in Gesprächen mit „örtlichen Verantwortlichen” nach dem Erhalt unserer Informationen sei „kein Hinweis darauf gefunden worden, dass es zum Zeitpunkt der Zertifizierung Zwangsarbeit in Iwazewitschdrew gegeben hat“. In Bezug auf die Wälder der Liegenschaftsverwaltung des Präsidenten erläuterte Preferred by Nature, dass es „so etwas wie einen „Präsidentenwald“ in Weißrussland“ nicht gebe, man das Abholzen von Bäumen in Nationalparks, jedoch außerhalb der Schutzgebiete, nicht für fragwürdig halte, und dass die unter Beteiligung örtlicher gemeinnütziger Umweltschutzorganisationen durchgeführten Audits in diesen Nationalparks keine Beanstandungen ergeben hätten. Zudem hieß es von Preferred by Nature, dass die „Zertifizierung gerade in Ländern mit schwächeren rechtlichen Vorgaben eine wichtige Rolle“ spiele, da sie „als Werkzeug dafür dient, dass (Menschenrechts-)Standards dort eingeführt werden, wo sie nicht gesetzlich verankert sind.” 

 SGS sagte: „Wir bestreiten Ihre völlig unzutreffenden Behauptungen ausdrücklich.” Sämtliche Zertifizierungen, die SGS ausgestellt hat, entsprächen „internationalen, von der jeweils zuständigen Akkreditierungsstelle ausgegebenen Standards”. SGS habe „keine FSC-Zertifikate für Organisationen oder Personen ausgestellt, die zum Zeitpunkt der Ausstellung mit internationalen Sanktionen belegt waren”, und fügte hinzu, dass ihre Audits in Weißrussland „in keinerlei Hinsicht Druck oder Einfluss der weißrussischen Regierung unterlagen”. SGS betonte, dass das 2020 zertifizierte Waldstück im Besitz der präsidialen Liegenschaftsverwaltung „lediglich 0,5 % der bewaldeten Fläche des Landes ” ausmache. 

Rainforest Alliance reagierte mit der Feststellung, dass der Schutz von Menschenrechten in den weltumspannenden Lieferketten den „Kern [ihres] Auftrags“ ausmache. Das Bündnis betonte, das dänische Unternehmen NEPCon habe alle Zertifikate, die vor 2014 unter der FSC-Akkreditierung in Europa ausgestellt wurden, im Auftrag vergeben. 

SCS: Nach Veröffentlichung dieses Berichts schrieb SCS in einer Stellungnahme: „Wir widersprechen der Darstellung unseres Handelns und unserer Motive sowie des Handelns und der Motive der anderen Zertifizierungsstellen in diesem Bericht entschieden. SCS hat sich seit vier Jahrzehnten dem Kampf gegen Greenwashing, der Schaffung von Transparenz und der Überprüfung von Umweltversprechen verschrieben. Qualität und Verlässlichkeit unserer Zertifizierungsdienstleistungen wurden von zahlreichen unabhängigen nationalen und internationalen Stellen bescheinigt, die unsere Prozesse im Detail geprüft haben.“ SCS gab weiter an: „Mit der Überprüfung der Anforderungen für eine FSC-Chain-of-Custody-Zertifizierung in Strafkolonie IK 2 beauftragte SCS einen qualifizierten örtlichen Auditor. Das im November 2020 erteilte Zertifikat beruhte auf einem Stand des Auditberichts, der im August, und damit zwei Monate vor den EU-Sanktionen gegen Herrn Matkin, erstellt wurde. SCS erfuhr von diesen Sanktionen erst nach Erteilung des Zertifikats und bemühte sich um eine Richtigstellung der Situation: Es wurde eine Untersuchung eingeleitet, in deren Folge das Zertifikat beendet wurde und SCS die Erteilung von Zertifizierungen in Weißrussland vollständig einstellte.“ Abschließend betonte das Unternehmen: „SCS verurteilt die Misshandlung von Arbeitern, Sklavenarbeit und Menschenrechtsverletzungen konsequent und entschlossen.“ 

FSC erinnerte daran, dass Zertifikatsinhaber die Zertifizierungsleitlinien (Policy of Association) des FSC unterschreiben müssen, die die Einhaltung der Menschenrechte und der Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) vorsehen. Der FSC ergänzte, dass er „nach den Wahlen 2020 sehr wohl die Bedenken hinsichtlich der Aufrechterhaltung sozialpolitischer Rechte in Weißrussland, insbesondere der wesentlichen IAO-Konventionen, die grundlegende Rechte der Erwerbstätigen sichern“ wahrgenommen habe, und bestätigte weiter, dass die Entscheidung, sich aus Weißrussland zurückzuziehen, nicht auf einem Verstoß gegen diese Konventionen beruht habe, sondern auf der Unmöglichkeit, deren Einhaltung mit Sicherheit festzustellen. FSC hob hervor, dass „Zwangsarbeit nicht in allen Strafkolonien vorzufinden ist” und fügte hinzu, dass die Gefangenen nicht zur Arbeit gezwungen und außerdem entlohnt würden, „wenn auch gering”. FSC gab an, „über die Berichte von Menschenrechtsverletzungen infolge von Gewalt und Repression im Land seit 2020 zutiefst besorgt“ gewesen zu sein und dass die „Zertifizierungsstellen die FSC-Zertifikate für Strafkolonien 2021 aufgrund dieser Bedenken wegen Menschenrechtsverletzungen aufgehoben“ hätten. Der FSC erklärte jedoch nicht, warum, wenn dies der Fall war, beendete Zertifikate nicht als „beendet und gesperrt” („terminated and blocked“) geführt wurden. Bezüglich des Bjeloweschskaja-Nationalparks wies der FSC darauf hin, dass im Nationalpark Bereiche für den Holzeinschlag ausgewiesen sind, und dass in Audits keine Verstöße gegen FSC-Standards im Hinblick auf die Waldbewirtschaftung festgestellt wurden. Man könne jedoch nicht mit Sicherheit sagen, ob Iwazewitschdrew Holz aus Nationalparks bezogen habe, da man keinen Einblick in die geschäftlichen Transaktionen des Unternehmens habe und auf diese Daten nur Zugriff erhalte, um Untersuchungen der Systemintegrität durchzuführen.  

XXXLutz und deren Tochtergesellschaften Poco und BUT erklärten, sie würden ihre Ware nicht direkt, sondern zusammen mit anderen Händlern über die gemeinsame „Einkaufsorganisation“ GIGA International beschaffen. GIGA versprach Earthsight gegenüber, die Vorwürfe „unverzüglich zu prüfen“. GIGA gab an, sämtliche Kooperationen mit direkten Lieferanten in Weißrussland im Februar 2022 aufgekündigt und ihre (indirekten) Lieferanten Polipol und Bega um eine detaillierte Stellungnahme gebeten zu haben. Das Unternehmen erklärte, es verpflichte alle Lieferanten dazu, sämtliche geltenden Regeln und Gesetze einzuhalten. Dies stelle einen „zentralen Bestandteil der Lieferantenverträge dar“. GIGA sagte weiter, dass eigene Lieferkettenaudits sowie die des FSC-Auditingunternehmens NEPCon (Preferred by Nature) – die die Beachtung von Menschenrechten umfassten – im letzten Jahr in Weißrussland „keine Unregelmäßigkeiten“ ergeben hätten. Aus dem Unternehmen war zu hören, dass „GIGA Kooperationen im Zusammenhang mit den betreffenden Produkten unverzüglich einstellen wird, sollten sich die Annahmen (von Earthsight) als richtig herausstellen“, und dass das Unternehmen „Geschäftspraktiken, die Menschenrechte oder Gesetze verletzen, niemals tolerieren wird”. 

SCS, die Bega Gruppe, Roller und Porta-Möbel/Möbel Boss haben sich auf unsere Bitte um Stellungnahme nicht gemeldet. Auch von Iwazewitschdrew oder FanDOK haben wir keine Reaktion erhalten. 

Quellennachweis

Titelbild und Porträts: Samuel Bono

Foto einer weißrussischen Polizeispezialeinheit: Shutterstock

Foto weißrussischer Gefangener, die aus ihren Zellen heraus das Siegeszeichen machen: Alamy

Foto von grünem Marmor: OnlyGFX

Foto von Menschen, die vor dem Europäischen Parlament gegen den Einmarsch Russlands in die Ukraine demonstrieren: Shutterstock

Foto eines Stapels Rundholz: Shutterstock

Earthsight dankt der ukrainischen Journalistin Oleksandra Hubytska und den unabhängigen weißrussischen Enthüllungsjournalisten Sviatlana und Ivan für ihre Unterstützung bei diesem Bericht.

Vollständige Liste der Referenzen hier erhältlich