Freifahrtschein für Repression: Zentrale Ergebnisse

• Seit Jahren schon profitieren die größten Möbeleinzelhandelsketten Europas von der Folter politischer Gefangener in Weißrussland, teilt Earthsight mit. Zugleich dienen ihre Käufe der persönlichen Bereicherung des brutalen Diktators des Landes, Alexander Lukaschenko, zu Lasten einiger der letzten Urwälder Europas. Der fortgesetzte Handel spielt auch dem russischen Terror in der Ukraine in die Hände, zu dem Weißrussland nicht unwesentlich Beihilfe leistet. Europäische Regierungen, die eigene Interessen verfolgen, weigern sich seit Jahren, Sanktionen zu verhängen, die diese skandalösen Handelsbeziehungen beenden könnten. Inzwischen verstoßen sie, indem sie den Handel weiter zulassen, sogar gegen eigene Gesetze.
• Earthsight konnte Verbindungen zwischen dem Einsatz von Zwangsarbeitern und fast jeder großen Möbeleinzelhandelskette Europas nachweisen, darunter zu IKEA, der führenden französischen Einzelhandelskette BUT und dem in Österreich ansässigen Möbelkonzern XXXLutz, dem zweitgrößten Möbeleinzelhändler des Kontinents. Möbel von IKEA, die mit dem Skandal in Zusammenhang stehen, wurden auch in den USA verkauft.
• Der Strafvollzug Weißrusslands, so ergaben Untersuchungen von Earthsight, ist das größte holzverarbeitende Unternehmen des Landes. In Zwangsarbeit übernehmen dort 8.000 Häftlinge das Fällen der Bäume für die Herstellung einer breiten Palette an Produkten, darunter Möbel für den Export.
• Zum Teil wird für diese Exporte Holz in den weißrussischen Nationalparks geschlagen, die unter direkter Kontrolle der Liegenschaftsverwaltung beim Präsidenten (UDPRB) stehen. Die UDPRB ist die persönliche schwarze Kasse Lukaschenkos und wurde bis vor Kurzem von dessen rechter Hand, Viktor Scheiman, geführt, dem die EU seit Langem vorwirft, das „Verschwindenlassen” politischer Opponenten des Präsidenten zu organisieren. Earthsight ist im Besitz von Dokumenten, die zeigen, dass pro Jahr über 1 Mio. m3 Rundholz in diesen geschützten Gebieten geschlagen werden. Das führt dazu, dass der weißrussische Teil des weltberühmten Bialowieza-Waldes, in dem selten gewordene Arten, wie Wisente, Luchse und Wölfe beheimatet sind, zunehmend entwaldet wird.
• Earthsight hat ehemalige und aktuelle politische Gefangene in einigen der Strafkolonien befragt, in denen das Holz weiterverarbeitet wird. Sie berichteten von Folter und Misshandlungen der politischen Gefangenen, von Zwangsarbeit in Werkstätten und fürchterlichen Arbeitsbedingungen.
• Gefangene und mehrere Quellen in der Regierung gaben gegenüber Earthsight an, die Gefängnisse würden eng mit zwei Sägewerken in Staatsbesitz zusammenarbeiten, indem sie ihnen vorbearbeitetes Holz, Rohmaterial und billige Zwangsarbeiter zur Verfügung stellen. Aus Aussagen unserer Quellen sowie weiteren uns vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass diese Sägewerke in Staatsbesitz anschließend direkt oder indirekt die europäischen Möbeleinzelhändler beliefern.
• Trotz vielfältiger Warnzeichen haben die größten internationalen Umweltsiegel, der Forest Stewardship Council und das PEFC, die UDPRB-Wälder und die Strafkolonien per Zertifizierung legitimiert. Einige der Haftanstalten erhielten ihre Zertifikate Ende 2020, obwohl kurz zuvor die massenweise Inhaftierung und Folter prodemokratischer Demonstranten in Weißrussland Schlagzeilen gemacht hatte. Folter und Misshandlung von zwei der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten in einer Haftanstalt war schon seit langer Zeit bekannt, als der FSC dieser dennoch ein Zertifikat ausstellte. Einem der beiden Gefangenen ist vor Kurzem der Friedensnobelpreis verliehen worden.
• Nachdem Weißrussland international isoliert war, weil es Russland beim Einmarsch in die Ukraine geholfen hatte, stellte IKEA im März 2022 freiwillig alle Käufe aus Weißrussland bzw. die Verwendung von weißrussischem Holz ein. Die EU verbot den Holzimport aus Weißrussland, und FSC sowie PEFC riefen alle Zertifizierungen zurück. Ohne den Krieg wäre nichts davon geschehen. Dennoch sind Möbelimporte in die EU und die Einfuhr von Holz aus Weißrussland ins Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten nach wie vor erlaubt. Europäische Unternehmen importieren weiterhin weißrussische Holzmöbel und Möbelteile im Wert von mehreren Millionen EUR. Earthsight hat die Verbindung zwischen diesen fortgesetzten Importen und einem der größten Wettbewerber IKEAs in Europa aufgedeckt.
• Ein EU-Gesetz, die Europäische Holzhandelsverordnung, sieht vor, dass Importeure eine Sorgfaltsprüfung (Due Diligence) vornehmen, um sicherzustellen, dass die von ihnen gekauften Produkte legal beschafft wurden. Im April gab die Europäische Kommission bekannt, dass diese Vorschrift im Handel mit Weißrussland nicht mehr haltbar sei und EU-Unternehmen daher ihre Importe einstellen müssen, selbst wenn diese nicht unter die Sanktionen fielen. Earthsight hingegen kam zu dem Ergebnis, dass 20 verschiedene EU-Mitgliedsstaaten weiter Importe von weißrussischen Holzmöbeln verzeichneten. Die größten Mengen werden nach Polen, Litauen, Deutschland und Frankreich geliefert.
• Der Skandal stellt außerdem vermutlich einen Verstoß gegen das geltende französische und das deutsche Lieferkettengesetz dar, das nächstes Jahr in Kraft treten soll. Die gesetzliche Gestaltung der Sorgfaltsprüfung für EU-weite Lieferketten, wird aktuell in Brüssel diskutiert.
• Earthsight ruft die Regierungen der EU, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten dringend zum Handeln auf, um diesem Skandal ein Ende zu setzen und weitere zu vermeiden. Dies soll insbesondere durch Ausweitung der bestehenden Sanktionen auf Weißrussland, eine bessere Durchsetzung bestehender Gesetze, die das Verbot illegal geschlagenen Holzes regeln und die Verabschiedung weiterer Gesetze, die dafür sorgen sollen, dass Unternehmen eine Sorgfaltsprüfung ihrer gesamten Lieferketten vornehmen, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zu vermeiden, geschehen. Earthsight ruft darüber hinaus zu einer dringenden Reform der Umweltsiegel FSC und PEFC auf, deren Versagen zu diesem Skandal beigetragen hat.