Kurswechsel nötig: EU-Regierungsspitzen müssen Indigenenschutz in der EU-Lieferkettenrichtlinie gewährleisten

14.09.2023

  • Die bevorstehende EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) könnte für indigene Völker zu einer ebenso bitteren Enttäuschung werden wie die bereits in Kraft getretene EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EU Deforestation Regulation, EUDR).
  • Einige Mitgliedstaaten - darunter Deutschland, Frankreich, Finnland und Schweden - setzen sich aktiv für eine Schwächung des Schutzes indigener Völker in der CSDDD ein.
  • Es ist von zentraler Bedeutung, dass diese Mitgliedstaaten ihren Kurs ändern und die Inklusion wichtiger Schutzvorschriften für Indigene Völker in den Richtlinientext sicherstellen. Hierzu gehören das Recht auf Selbstbestimmung, Landrechte, das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung (free, prior, informed consent, FPIC), die UN Deklaration über die Rechte Indigener Völker (UNDRIP) und das ILO-Übereinkommen 169.
  • Bereits letztes Jahr enthüllten Earthsight und De Olho nos Ruralistas in ihrer Investigativrecherche There Will be Blood die Verbindung zwischen dem Haustierfutter einiger der größten europäischen Einzelhändler und ungeheuerlichen Indigenenrechtsverletzungen in Brasilien.
  • Earthsight deckt nun auf, dass nach wie vor Handelsbeziehungen zwischen den brazilianischen Unternehmen und Europa bestehen, was die Notwendigkeit von starken Schutzvorschriften für Indigenenrechte in der CSDDD unterstreicht.

Mitglieder der indigenen Gruppe der Guarani Kaiowá im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul zeigen ein Foto von Marcos Veron, welcher ermordet wurde, nachdem er versucht hatte, ihr angestammtes Gebiet von der Agrarindustrie zurückzuerobern © Romerito Pontes / flickr (CC BY 2.0)

Der Kampf um Takuara

Brasília do Sul, eine 9,700 Hektar große Sojafarm im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul, befindet sich auf Takuara, dem angestammten Land der Guarani Kaiowá. Diese wurden vor Jahrzehnten gewaltsam und auf rechtswidrige Weise vertrieben. Die Landrechte der Gemeinschaft wurden seither brutal missachtet. Marcos Veron, ein prominenter Kaiowá-Führer, wurde 2003 bei einem Angriff von Angestellten der Brasília do Sul und angeheuerten Bewaffneten zu Tode geprügelt, kurz nachdem er sein Volk zurück nach Takuara geführt hatte. Obwohl die brasilianische Bundesregierung es seit Jahren offiziell als indigenes Land anerkennt, wird die Restitution von Takuara an die Kaiowá seither durch die aggressive Inanspruchnahme von Gerichten durch die Eigentümer der Farm und die Untätigkeit staatlicher Stellen verhindert. Das Land selbst wurde durch die Eigentümer der Farm vollständig entwaldet.

Was There Will Be Blood enthüllt:

Erweitern für weitere Details zum Bericht

There Will Be Blood deckte auf, dass Brasília do Sul, eine 9,700 Hektar große Sojafarm im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul, sich auf Takuara, dem angestammten Land der Guarani Kaiowá befindet. Diese wurden vor Jahrzehnten gewaltsam von ihrem Land vertrieben, um dort industrielle Landwirtschaft im großen Stil zu ermöglichen. Eigentümerin der Farm ist die wohlhabende und politisch einflussreiche Jacintho Familie. Die Familie bestreitet, dass es auf Takuara je eine indigene Bevölkerung gegeben hat, trotz überwältigender Beweise für das Gegenteil (einschließlich solcher, die von der brasilianischen Regierung selbst bestätigt wurden).

Obwohl die brasilianische Regierung seit Jahren indigene Ansprüche auf Takuara anerkennt, hat sie die Restitution des Gebiets an die Kaiowá bislang unterlassen. Die Justiz, einschließlich des Obersten Bundesgerichts, hat mehrfach Anordnungen zugunsten der indigenen Gemeinschaft blockiert oder verzögert, was nach Ansicht von Aktivist*innen in der Verfassung garantierte Indigenenrechte verletzt.

In der Zwischenzeit haben die Guarani Kaiowá eine jahrzehntewährende gewaltsame Unterdrückung ihrer Rechte über sich ergehen lassen müssen. Nach einem Versuch, ihr traditionelles Land im Januar 2003 zurückzuerobern, wurde einer ihrer Anführer, Marcos Veron, während eines frühmorgendlichen Angriffs auf die Kaiowá durch Angestellte der Brasília do Sul und von Jacintho Honório da Silva Filho angeheuerte Bewaffnete brutal ermordet.

Weil er zur Revolutionierung des brasilianischen Rindersektors beigetragen hat, nimmt Da Silva Filho in der Geschichte der brasilianischen Agrarindustrie einen besonderen Platz ein. In den 1960er Jahren erwarb er Brasília do Sul und rodete fast alle Wälder für Weideland. Später wandelte er die Ländereien in eine Sojafarm um. Er wurde beschuldigt, der Drahtzieher des Mordes an Veron und des Angriffs auf die Guarani Kaiowá zu sein. Zudem wird ihm Zeugenbeeinflussung vorgeworfen. Er wurde nie verurteilt. Von Earthsight befragte Staatsanwält*innen und Expert*innen bezeichneten den Fall als ein eindeutiges Beispiel für die Straffreiheit eines mächtigen Geschäftsmannes. Da Silva Filho starb 2019 im Alter von 102 Jahren.

Heute leiden die Guarani Kaiowá von Takuara weiterhin unter den Folgen des fehlenden Zugangs zu ihrem angestammten Land. Sie leben unter prekären Bedingungen auf einem kleinen Stück Land in der Peripherie, und können ihren Bräuchen und Traditionen nicht nachgehen.

Der Europäische Markt für Haustierfutter

Der Bericht deckte die Lieferkette zwischen dem auf Brasília do Sul angebauten Soja, einem großen Hühnerfleischexporteur in Brasilien und der Haustiernahrung einiger der größten deutschen und europäischen Einzelhändler auf, darunter Lidl, dm-drogerie markt, Edeka, Rewe und Fressnapf.

Unser Team fand heraus, dass das Soja von Brasília do Sul unter anderem von Lar Cooperativa Agrodindustrial (Lar), Brasiliens viertgrößtem Hühnerschlachtbetrieb, erworben wird. Lar verarbeitet Soja zu Tierfutter, welches seine Mitglieder dann für die Hühnerzucht verwenden.

Zwischen 2017 und 2022 exportierte Lar nahezu 120.000 Tonnen gefrorene und marinierte Hühnerfleischprodukte in die EU, wobei die Exporte 2022 sich im Vergleich zu 2017 nahezu verdreifachten. Lars Hauptmärkte in der EU sind Deutschland, die Niederlande und Spanien.

Das deutsche Unternehmen Paulsen Food GmbH, das 2017 vom thailändischen Lebensmittelriesen Charoen Pokphand Foods (CPF) aufgekauft wurde, stellte sich dabei als  wichtiger Kunde von Lar heraus. Im Zeitraum 2017-2022 importierte Paulsen Food über 20.000 Tonnen Hühnerfleischprodukte von Lar für die Herstellung von Haustierfutter. Das Unternehmen ist damit Lars einziger Großkunde für diese Art von Produkten in der EU. 

Die deutschen Tierfutterhersteller Saturn Petcare und Animonda Petcare wiederum beziehen ihre Hühnerprodukte laut There Will be Blood von Paulsen Food.

Saturn Petcare veräußert Haustierfutter an einige der größten Einzelhändler in Deutschland, darunter Lidl, dm-drogerie markt, Edeka, Netto Marken-Discount, Rewe Markt und Rossmann. Diese Einzelhändler vertreiben Saturn Petcare-Produkte unter ihren eigenen Markennamen (siehe Tabelle unten). Animonda hingegen liefert seine eigene Tiernahrungsmarke an mehrere Einzelhändler in Europa, darunter Fressnapf und die Online-Händler Zooplus, Vetsend und Medpets.

Völlig gleich ob deutsche Katzen- und Hundebesitzer ihr Tierfutter in Drogerien, Discountern, anderen Supermärkten, online oder gar im Fachhandel kaufen, sie setzen sich dem Risiko aus, unwissentlich zur brutalen und illegalen Unterdrückung der Guarani Kaiowá beizutragen.

Die hier genannten europäischen Unternehmen wiesen jegliches Fehlverhalten von sich und bekräftigten stattdessen ihr Engagement für Menschenrechte in ihren Lieferketten.

Aus unserem Schriftverkehr mit ihnen ging jedoch hervor, dass ihre "Sorgfaltsmaßnahmen" völlig unzureichend waren. Die Antworten implizierten, dass die betroffenen Unternehmen vor Erhalt der Hinweise von Earthsight keinerlei Kenntnis von dem Sachverhalt hatten. Anstatt daraufhin eigene Ermittlungen zu tätigen, schienen sie sich vollständig auf Zusicherungen von ihren Lieferanten zu verlassen. Insgesamt konnte keines der Unternehmen überzeugend darlegen, ob oder inwiefern sie verhindern können, dass Hühnerprodukte in ihre Lieferkette gelangen, die mit Indigenenrechtsverletzungen in Verbindung stehen.

Sie können die Antworten der Unternehmen auf die Recherche There Will Be Blood hier einsehen. Paulsen Food hat auf unsere Bitte um Stellungnahme nicht reagiert.

Trotz der Enthüllungen in There Will Be Blood im Mai 2022 importieren europäische Unternehmen weiterhin Hühnerfleisch von Lar und setzen damit europäische Kund*innen einem andauernden Risiko aus, zu Indigenenrechtsverletzungen beizutragen. Zwischen Juli 2022 und Juni 2023 exportierte Lar über 28.000 Tonnen Hühnerprodukte in die EU. Mehr als 5.500 Tonnen davon waren gefrorenes Hühnerfleisch für die Herstellung von Tierfutter, welches nach Deutschland und in die Niederlande exportiert wurde. Die wichtigsten Märkte von Lar in der EU sind Deutschland, die Niederlande und Spanien.

Indigene Völker von EU-Entwaldungsverordnung enttäuscht

Einen Hoffnungsschimmer für die Guarani Kaiowá und andere stellten neue Nachhaltigkeitsdossiers der Europäischen Union dar. Verschiedene Gesetzesvorhaben zielen darauf ab, die negativen Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf Umwelt und Menschenrechte zu minimieren. Die EUDR, die im Juni 2023 in Kraft trat, war jedoch eine große Enttäuschung für Indigene Völker. Die bevorstehende CSDDD läuft nun Gefahr, ähnlich wahrgenommen zu werden.

Die EUDR erlegt Unternehmen Sorgfaltspflichten dahingehend auf, dass bestimmte Rohstoffe wie Soja, Rindfleisch und Holz nicht mit Entwaldung oder Waldschädigung in Verbindung stehen. Sie verlangt auch, dass die Gesetze des Erzeugerlandes nicht verletzt werden. Ursprünglich sollten sich die unternehmerischen Sorgfaltspflichten nach Wunsch des Europäischen Parlaments auch auf international anerkannte Indigenenrechte beziehen, darunter Gewohnheitslandrechte und FPIC.

Allerdings verpflichtet der endgültige Text Unternehmen nur zur Beachtung derjenigen Menschenrechte, die nach nationalem Recht des Erzeugerlands geschützt sind. Im Trilog argumentierte die Kommission, dass die EUDR keine dezidierten Sorgfaltspflichten für Indigenenrechte enthalten müsse, da diese von der CSDDD hinreichend abgedeckt werden würden.  

Während es in einigen Erzeugerländern, darunter Brasilien, nationale Schutzvorschriften mit Blick auf Indigenen- und Landrechte gibt, ist das längst nicht überall der Fall. Indigene Völker werden daher nicht gleichermaßen durch die EUDR geschützt. Selbst wo es entsprechende Gesetzgebung gibt, zeigen Fälle wie der der Guarani Kaiowá, dass Defizite bei deren Auslegung und Vollzug vorhanden sind. Ebenso kann Korruption den Gang der Justiz behindern. Es ist noch nicht absehbar, wie die Vollzugsbehörden der EUDR mit solchen Umständen umgehen werden. 

Die Aufnahme von Geflügelprodukten hat es als weiterer Vorschlag des Parlaments ebenfalls nicht in den finalen Verordnungstext geschafft. Das bedeutet, dass weder Paulsen Food noch  große Einzelhändler wie Lidl oder Rewe zu Sorgfaltspflichten im Sinne der EUDR verpflichtet sind, wenn sie Geflügelprodukte von Lar auf den EU-Markt bringen.

Starke Schutzvorschriften für Indigenenrechte in CSDDD vonnöten

Die Hoffnung der Guarani Kaiowá ruht nun auf der CSDDD, die derzeit auf Hochtouren zwischen Europäischem Parlament, dem Rat und der Kommission verhandelt wird. Die geplante Richtlinie soll nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln fördern, indem es Unternehmen Sorgfaltspflichten zur Verhinderung, Minimierung, Beendigung und Abhilfe negativer Einwirkungen auf Menschenrechte und Umwelt in ihren Lieferketten auferlegt. Damit wohnt ihr ein großes Potential für indigene Völker wie die Guarani Kaiowá inne.

Der Kommissionsentwurf für die CSDDD von Februar 2022 ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, weil er im Anhang die UNDRIP listet. Zudem enthält er eine Referenz zu dem auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker fußenden Recht auf die freie Verwaltung eigener Ressourcen (Artikel 1 (2) UN-Zivilpakt). Dennoch wurde der Entwurf für seinen schmalen Anwendungsbereich im Bereich Indigenenrechte kritisiert.

Am 1. Juni 2023 stimmte das Europäische Parlament für eine Stärkung von Indigenenrechten, indem es den Anhang der CSDDD um das Recht Indigener Völker auf Selbstbestimmung sowie eine Bezugnahme auf FPIC und das ILO-Übereinkommen 169 erweiterte. Außerdem fügte es dem Text eine explizite Pflicht zur Konsultation von betroffenen Stakeholdern, darunter indigene Völker, hinzu.

Bevor allerdings die CSDDD in Kraft treten kann, müssen Europäisches Parlament und Rat, der sich zusammensetzt aus den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, eine Einigung finden. Und Letzterer vertritt eine Position, die das Gegenteil zur Stärkung von Indigenenrechten nach Wunsch des Europäischen Parlaments darstellt. Der Rat schlägt vor, die UNDRIP sowie das Recht indigener Völker auf freie Verfügung über ihre eigenen Ressourcen, darunter ihr Land, aus dem Text zu streichen. 

Berichten zufolge habe sich die deutsche Regierung für diese Änderungen stark gemacht. Das ist besonders schockierend, wenn man die von There Will be Blood enthüllten Indigenenrechtsverletzungen in den Lieferketten großer deutscher Unternehmen bedenkt.  Es wird gemunkelt, dass Frankreich, Schweden und Finnland ebenfalls hinter den Streichungen standen. 

Darüber hinaus zeigen Fälle wie der der Guarani Kaiowá, dass eine wirkungsvolle Richtlinie unbedingt eindeutige Sorgfaltspflichten für Unternehmen mit Blick auf ihre gesamte vorgelagerte Wertschöpfungskette enthalten muss. Im vorliegenden Fall würde die Sorgfaltspflicht sich bis zu der Farm erstrecken, auf der das Soja für die später zur Tiernahrung verarbeiteten Hühner angebaut wird. Diese ist mindestens vier Stufen von den deutschen Einzelhändlern entfernt. 

Während der Kommissionsentwurf für die CSDDD nicht sicherstellt, dass indirekte Geschäftsbeziehungen abgedeckt wären, sind sich der Rat und das Europäische Parlament einig, dass sich die Sorgfaltspflichten der Unternehmen auf alle Glieder ihrer vorgelagerten Lieferkette beziehen müssen. Es ist wichtig, dass sich dieser Standpunkt bei den abschließenden Verhandlungen durchsetzt.

Nur Unternehmen ab einer bestimmten Größe und einem bestimmten Jahresumsatz sind von der CSDDD erfasst. Die Analyse von Earthsight zeigt, dass alle deutschen Einzelhändler, die in There Will Be Blood genannt werden, die Richtlinie einhalten müssten.  

Der Rat muss seinen Kurs ändern

Der Fall der Guarani Kaiowá zeigt, dass Deutschland, Frankreich, Schweden und Finnland unbedingt ihren Kurs ändern müssen. Europäische Katzen- und Hundebesitzer sollten ihre Haustiere füttern können, ohne damit unwissentlich zur Unterdrückung indigener Gemeinschaften im Ausland beizutragen. 

Die deutsche Bundesregierung hat indigene Völker schon einmal im Stich gelassen. Das von der Vorgängerregierung aus CDU und SPD verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wurde von Earthsight und anderen als „zahnlos“ und „allenfalls einen Anfang“ kritisiert, mitunter auch   weil es weder die ILO-Konvention 169 noch UNDRIP zum Gegenstand unternehmerischer Sorgfaltspflichten machte. Die Ampelregierung hat nun die Möglichkeit, diesen Fehler zu korrigieren. Aber hierzu muss sie aufhören, die Wirtschaft über Mensch und Planeten zu stellen.

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