Zusammenfassung: Die Geheimzutat


Die neueste Veröffentlichung von Earthsight beschäftigt sich mit Soja, welches mit illegaler Entwaldung, Landgrabbing, Korruption und Gewalt gegen traditionelle Gemeinschaften im brasilianischen Cerrado in Verbindung steht - und mit Hühnerfleisch in den Regalen der größten europäischen Supermärkte – Carrefour, Intermarché, Edeka und Albert Heijn – sowie des Fastfood-Giganten McDonald’s. Dieses „schmutzige“ Soja wird als Futtermittel in europäischen Hühnerzuchtbetrieben verwendet. Es ist die Geheimzutat in beliebten Hühnerfleischprodukten, welche ahnungslose Verbraucher*innen mit Zerstörung und Menschenrechtsverletzungen im brasilianischen Cerrado verbindet.

Der Cerrado ist ein weitläufiges Biom aus Graslandschaften, Feuchtgebieten, Savannen und Wäldern; er beherbergt fünf Prozent der globalen Biodiversität und dient als wertvolle Kohlenstoffsenke. Gleichzeitig steht er im Zentrum einer aggressiven landwirtschaftlichen Expansion, die in den letzten Jahrzehnten zur Zerstörung der Hälfte seiner Vegetation geführt hat. Im Jahr 2023 fand der größte Teil der Abholzung im Cerrado im Bundesstaat Bahia statt. Hier bauen jene drei Agrarunternehmen, die im Fokus der neuen Earthsight-Veröffentlichung stehen, auf Hunderttausenden Hektar Soja an: die Horita-Group, die Franciosi Agro-Group und die Mizote-Group.

Obwohl sie mit Korruption, Abholzung und Gewalt gegen traditionelle Gemeinschaften im Cerrado in Verbindung gebracht werden, sind sowohl Horita als auch Franciosi Agro von dem Round Table on Responsible Soy (RTRS) zertifiziert worden. Beim RTRS handelt es sich um ein Zertifizierungssystem, das ethische und nachhaltige Sojalieferketten sicherstellen soll. Die hiesige Recherche zeigt jedoch, dass Mängel sowohl in der Ausgestaltung der Standards als auch den Verfahren von RTRS Abholzern im Cerrado zum Greenwashing verhelfen. Als Reaktion auf die Ergebnisse der Recherche von Earthsight hat RTRS eine Untersuchung gegen Horita und Franciosi Agro eingeleitet und deren Zertifikate für die Dauer der Überprüfung ihrer Regeltreue ausgesetzt.

Entwaldung, Menschenrechtsverletzungen und Korruption

Eine Analyse von Satellitendaten, die von MapBiomas bereitgestellt wurde, legt nahe, dass Franciosi Agro und Mizote seit Januar 2021 über 23.000 Hektar einheimischer Vegetation im Westen des Bundesstaats Bahia gerodet haben – ein Gebiet, das fast viermal so groß ist wie Manhattan. Investigativreporter von Earthsight fanden dabei heraus, dass Franciosi Agro zwischen 2021 und 2023 auf dem Santa Isabel Farmkomplex in der Gemeinde Luís Eduardo Magalhães 5.000 Hektar abholzte – mehr als doppelt so viel, wie zur Rodung genehmigt worden war.

Weiter südlich, in der Gemeinde Correntina, wurden zwischen 2022 und 2023 auf der im Eigentum von Mizote befindlichen Barra Velha Farm 5.778 Hektar einheimischer Vegetation im Cerrado abgeholzt. Earthsight konnte jedoch nur Rodungsgenehmigungen für 2.995 Hektar dieser Flächen nachweisen.

Weiterhin werden mehrere Ländereien der Horita-Group mit Landraub und Gewalt gegen traditionelle Gemeinschaften in Verbindung gebracht, unter anderem ein 2.169 Hektar großes Gelände, das sich auf angestammtem Land der Capão do Modesto befindet. Das Unternehmen bewirtschaftet auch Ländereien an die 100.000 Hektar im Mega-Agrargelände Estrondo in Formosa do Rio Preto. Estrondo erstreckt sich über ein Gebiet, welches von traditionellen Geraizeiro-Gemeinschaften bewohnt wird. Diese wurden in den letzten Jahren Zeuge davon, wie Agrarunternehmen sich ihr Land aneigneten. Zudem sind die Gemeinschaften Gewalt durch Sicherheitskräfte von Estrondo ausgesetzt gewesen. So robust ist die Beweislage für Landraub mit Blick auf die Capão do Modesto und Estrondo, dass der Generalstaatsanwalt von Bahia mittlerweile Anklage gegen die beteiligten Agrarunternehmen erhoben hat, darunter Horita. Er bezeichnete beide Sachverhalte als einige der schlimmsten Beispiele für Landraub in Brasilien.

Hinzu kommt, dass Walter Horita – einer der Eigentümer der Horita-Group – in einen der größten Korruptionsskandale Brasiliens verwickelt ist. Dieser war Gegenstand der kriminalpolizeilichen Ermittlung „Operation Far West“, welche weitflächige Korruption in der Justiz aufdeckte: Hierbei kollaborierten Richter*innen, Anwält*innen und Agrarunternehmen, um gemeinsam für Unternehmen vorteilhafte Gerichtsurteile zu erwirken. Die Folge war, dass 800.000 Hektar Landraub legitimiert wurden. Horita wird in diesem Zusammenhang vorgeworfen, Justizbeamte bestochen zu haben. Berichten zufolge soll er eine Vergleichssumme von rund 4,98 Millionen Euro an brasilianische Behörden geleistet haben.

Die Geheimzutat in europäischem Hühnerfleisch

Das „schmutzige“ Soja von Horita, Franciosi Agro und Mizote wird von zwei der größten Sojahändlern der Welt in die EU exportiert: Bunge und Cargill. Etwa 90 Prozent des Sojas, das nach Europa gelangt, wird dabei zu Tierfutter verarbeitet, um die Fleischindustrie zu versorgen. Bunge und Cargill veräußern Soja an marktführende europäische Futtermittelunternehmen, darunter De Heus.

Die mit Futtermittel von De Heus gefütterten Hühner werden dann wiederum von der Plukon Food Group erworben, die als viertgrößter Verarbeiter von Hühnerfleisch in Europa Hühnerprodukte an Einzelhändler in der gesamten EU verkauft. Investigativreporter von Earthsight konnten Plukon-Hühnerprodukte im Sortiment einiger der größten Einzelhändler Europas nachweisen: Carrefour und Intermarché in Frankreich, Edeka in Deutschland und Albert Heijn in den Niederlanden. Plukon beliefert auch McDonald’s. Damit gehen europäische Verbraucher*innen nicht nur beim Lebensmittelkauf das Risiko ein, sich an Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen, sondern auch, wenn sie beliebte Hühnerfleischgerichte der Fast-Food-Kette bestellen.

RTRS und alle im Bericht erwähnten Unternehmen wurden um Stellungnahme gebeten. Ihre Antworten finden sich im gesamten Bericht und können hier in vollständiger Länge eingesehen werden.

Die EU-Entwaldungsverordnung

Die Ausweitung des Sojaanbaus auf Kosten bedeutsamer Ökosysteme und der von ihnen abhängigen Gemeinschaften hat in den letzten Jahrzehnten Millionen von Hektar an Entwaldung verursacht und verschärft die Klima- und Biodiversitätskrise. Dem Beitrag von europäischem Konsum zu dieser Zerstörung könnte die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) Einhalt gebieten. Sie verpflichtet europäische Unternehmen zu entwaldungsfreien Lieferketten und Compliance mit einschlägigen Gesetzen der Erzeugerstaaten.

Die hiesige Analyse zeigt, dass Soja, welches erst kürzlich von Bunge und Cargill aus dem Westen des Bundesstaats Bahia in die EU importiert wurde, auf Entwaldungsaktivitäten nach dem Stichtag der EUDR im Dezember 2020 zurückgeführt werden kann und darüber hinaus mit weiteren Regelverstößen in Verbindung steht. Diese Importe sind daher nicht mit der kommenden Verordnung vereinbar.

Da der Regelungsumfang der EUDR nur Wälder erfasst, schließt sie einen Großteil des weniger dicht bewaldeten Cerrado aus. Dennoch hat Earthsight zerstörte Gebiete identifiziert, die als Wälder vom Schutzbereich der EUDR erfasst wären. Der Import entsprechender Erzeugnisse wäre damit nicht EUDR-konform.

Derweil versuchen Vertreter*innen der von der Verordnung betroffenen Branchen, darunter solche mit den weltweit größten Entwaldungs-Fußabdrücken und erschreckenden Menschenrechtsbilanzen, den Zeitpunkt des regulären Inkrafttretens der EUDR im Dezember 2024 hinauszuzögern und ihre Anforderungen abzuschwächen. Die Veröffentlichung von Earthsight verdeutlicht dabei, dass europäische Lieferketten ohne die EUDR weiterhin Treiber für Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt sein werden.

Empfehlungen für EU-Entscheidungsträger*innen:

1. Die EU-Kommission muss den Forderungen nach einer Verzögerung widerstehen und die EUDR pünktlich durchsetzen;

2. Um eine effektive und vollumfängliche Umsetzung der EUDR zu gewährleisten, sollten die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden Zertifikate freiwilliger Industrieinitiativen nicht als Nachweis für die Einhaltung des Gesetzes werten;

3. Der Schutzbereich der EUDR muss ausgeweitet werden, um unbeabsichtigte Verlagerungseffekte auf andere Ökosysteme zu verhindern und sollte daher nicht nur Wälder, sondern auch „sonstige bewaldete Flächen“ erfassen.


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